Schleichende Auszehrung Deutsche Vorzeigebranchen akut bedroht

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Commodity-Falle betrifft zwei Drittel der Unternehmen

SAP Quelle: dpa

Die beiden Neubauten für TUI Cruises entstehen darum auf der STX Europe Werft im finnischen Turku – die Helsinki vor gut einem Jahr mit millionenschweren Finanzhilfen vor der Pleite bewahrte. Die zwei Aida-Dampfer der nächsten Generation baut Mitsubishi Heavy Industries in Yokohama bei Tokio. Die Reederei nimmt dafür in Kauf, ein halbes Jahr länger auf das erste Schiff zu warten und einige Reisen absagen zu müssen. Die Japaner machen bei dem Auftrag fast 430 Millionen Euro Miese.

Berger-Berater Zollenkop schätzt, dass mittlerweile fast zwei Drittel aller deutschen Unternehmen von der Commodity-Falle bedroht sind. „Betroffen sind fast alle Branchen, Automobilzulieferer ebenso wie Logistikunternehmen, Finanzdienstleister wie IT-Firmen oder Pharmakonzerne.“ Neue Marktteilnehmer, vor allem aus Asien, gefährden die Marktposition etablierter Unternehmen und erodieren ihre Wettbewerbsfähigkeit. „Auf längere Sicht kann diese Entwicklung die Existenz vieler Firmen bedrohen“, sagt Zollenkop. „Retten können sich die Betroffenen entweder, indem sie ihre Wettbewerbsposition verbessern oder indem die betroffenen Unternehmen aus der Commodity-Falle ausbrechen, etwa durch Produktdifferenzierung, Ausweichen auf andere Märkte oder ein anderes Geschäftsmodell.“

Auch Deutschlands wichtigste Exporteure, die Maschinen- und Anlagenbauer, drohen in die Commodity-Falle zu tappen: Ingenieurkunst made in Germany galt jahrzehntelang weltweit als Goldstandard für innovative Technik. 2013 exportierten die rund 6200 Unternehmen der Branche Güter im Wert von rund 206 Milliarden Euro. Aber einstige Schwellenländer wie Indien und China bieten inzwischen selbst abgespeckte, aber ausreichende Technik an – weltweit und billiger. Auch in Europa finden ihre Maschinen Abnehmer.

„Rund 80 Prozent der deutschen Unternehmer haben die Gefahr dieser Good-enough-Technik noch nicht erkannt“, warnt Stefan Herr, Leiter Industry & Technology bei der Beratung Simon Kucher. Die Bereitschaft der weltweiten Käufer, für deutsche Spitzentechnik Aufgeld zu zahlen, nimmt rapide ab. Deutsche Ingenieure mit ihrem Hang zum Over-Engineering – alles, was technisch machbar ist, in ein Produkt hinzustopfen – laufen Gefahr, an den veränderten Bedürfnissen ihrer Zielgruppe vorbeizuproduzieren.

„Über kurz oder lang werden Good-enough-Produkte in vielen Bereichen die etablierte, aber komplexe Technik deutscher Maschinenbauer verdrängen“, fürchtet Ralf Russ, Geschäftsführer Industrial Software bei der Beratung Accenture. Weltweit steige die Nachfrage nach einfacheren, robusten und billigeren Produkten, und „es wird für die Deutschen keine geschützten Highend-Bereiche mehr geben“, warnt Simon-Kucher-Experte Herr. „Die Branche sollte sich darauf einstellen und einfachere und günstigere Produkte für die Bedürfnisse der Schwellenländer entwickeln“, sagt Berger-Berater Zollenkop.

Beim Softwarekonzern SAP könnten die hohen Kosten am Standort Deutschland sogar zu einer Verlagerung in die USA führen. Noch genießen die knapp 13 000 Beschäftigten am Stammsitz Walldorf jede Menge Privilegien: überdurchschnittliche Bezahlung, jährliche Beteiligung am Unternehmensgewinn, selbst das Kantinenessen ist für alle Beschäftigten kostenlos.

Doch das Paradies ist bedroht: SAP-Mitgründer Hasso Plattner ist der Laden zu schwerfällig geworden: „Hauptquartiere von Unternehmen werden gerne bürokratisch – genau so ist es uns ergangen.“ Seit geraumer Zeit hält sich daher das Gerücht, Plattner könnte eine Verlagerung des Unternehmenssitzes in die USA anstreben. Mit weitreichenden Folgen für Walldorf – angefangen beim Bedeutungsverlust der Zentrale bis zum möglichen Wegfall zahlreicher Verwaltungsfunktionen.

Zwar haben Plattner und die beiden Co-Vorstandschefs Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe solche Pläne bisher dementiert. Wirklich beruhigt hat das aber niemanden, zumal der Amerikaner McDermott ab Ende Mai allein auf dem Chefsessel des weltgrößten Herstellers von Unternehmenssoftware sitzt. Und der hat gute Gründe, das Umzugsprojekt wieder aus der Schublade zu holen: Die USA sind der wichtigste Softwaremarkt der Welt.

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