Das Bundeskriminalamt (BKA) hat nach Informationen der ZEIT offenbar unter größter Geheimhaltung die umstrittene israelische Spähsoftware Pegasus gekauft, um Verdächtige zu überwachen. Trotz gravierender rechtlicher Bedenken habe die Behörde einen entsprechenden Vertrag mit dem israelischen Unternehmen NSO abgeschlossen, heißt es in Sicherheitskreisen. Darüber will die Bundesregierung am heutigen Dienstag den Innenausschuss des Deutschen Bundestags unterrichten.

NSO verkauft Pegasus weltweit an Polizeibehörden und Geheimdienste. Das Programm kann iPhones und Android-Smartphones in Echtzeit ausspähen, Gespräche mitschneiden, Standortdaten auslesen, heimlich die Kamera aktivieren und die Verschlüsselung von Chatnachrichten umgehen. Im Juli wurde durch die Recherchen eines internationalen Journalistenkonsortiums, dem unter anderem DIE ZEIT, SZ, NDR und WDR angehören, der umfassende Missbrauch der Software bekannt.

Auf einer Liste potenzieller Ziele mit mehr als 50.000 Telefonnummern stehen demnach auch diverse Menschenrechtsaktivisten, Journalistinnen und Journalisten sowie Rechtsanwälte. Die Liste, die von 2016 bis in die Gegenwart reicht, enthält zudem die Nummern von einem Dutzend Staats- und Regierungschefs, etlichen Ministern sowie hochrangigen Diplomaten. Die technische Analyse zahlreicher Mobiltelefone von Betroffenen belegte, dass sie mithilfe der Software angegriffen und teilweise über Jahre ausgespäht worden waren.

Pegasus - So können Staaten nahezu jedes Mobiltelefon weltweit hacken Die Cyberwaffe Pegasus greift Smartphones über Sicherheitslücken unbemerkt an. Wer die Ziele sind und warum eine Gegenwehr mittlerweile zwecklos ist. Ein Erklärvideo

Das BKA hatte das erste Mal im Jahr 2017 mit NSO verhandelt und sich in Wiesbaden die Fähigkeiten der Cyberwaffe vorführen lassen. Dafür war eigens eine Delegation von NSO aus Israel angereist. Allerdings hatten damals Juristen im BKA und im zuständigen Bundesinnenministerium Bedenken wegen der überbordenden Fähigkeiten der Software geäußert. Wer Pegasus einsetzt, übernimmt damit faktisch das Mobiltelefon der Zielperson. Seit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Online-Durchsuchung dürfen die Sicherheitsbehörden jedoch nur in besonderen Fällen Handys und Computer von Verdächtigen infiltrieren und dabei nur bestimmte Überwachungen initiieren.

Für die Ermittler ist es ein Dilemma: Einerseits setzt der Rechtsstaat dem Einsatz solcher Überwachungstrojaner enge Grenzen. Andererseits sind die technischen Anforderungen zur Überwachung moderner Mobilgeräte erheblich und das Innovationstempo der Branche ist hoch. Jahrelang doktorte das BKA an einer eigenen Spähsoftware herum, die aber als schwerfällig und wenig praktikabel gilt. Nach Angaben des grünen Innenexperten Konstantin von Notz wurde dieser sogenannte Staatstrojaner zwischen 2017 und 2020 in keinem einzigen abgeschlossenen Ermittlungsverfahren eingesetzt.

Offenbar entschied sich das BKA angesichts der mageren Bilanz dafür, neben der Eigenentwicklung doch auf NSOs Superwaffe Pegasus zurückzugreifen. Dem Vernehmen nach soll das BKA ab Ende 2019 mit NSO ins Geschäft gekommen sein. Nach Informationen der ZEIT bestanden die deutschen Beamten darauf, dass nur diejenigen Funktionen freigeschaltet werden, die mit den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes vereinbar sind.

Wie genau dies sichergestellt werden kann, ist allerdings ebenso unklar wie die Frage, ob, wie oft und gegen wen Pegasus bislang eingesetzt wurde. Das BKA und das Bundesinnenministerium verweigern dazu grundsätzlich jeden Kommentar.

Bereits dreimal wurde die Bundesregierung explizit gefragt, ob Bundesbehörden NSO-Software einsetzen, im Jahr 2019 von der Linken-Abgeordneten Martina Renner, im Jahr darauf vom Deutschen Journalistenverband und in diesem Jahr in einer Kleinen Anfrage der Bundestagsfraktion der Grünen. In allen Fällen antwortete das Innenministerium, dass man auf diese Frage keinerlei Auskunft erteile. Im Fall von Renner hieß es dazu, das parlamentarische Informationsrecht der Bundestagsabgeordneten müsse hinter die "staatswohlbegründeten Geheimhaltungsinteressen ausnahmsweise zurückstehen". Auch NSO will sich nicht äußern.