Sind Taschenkontrollen beim Verlassen des Betriebsgeländes aufgrund einer Betriebsvereinbarung zugelassen, kann der Arbeitgeber sie auch nach Abmeldung von der Arbeitszeit durchführen.

Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts zu Grunde?


Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin verpflichtet ist, bei Torkontrollen gemäß einer Betriebsvereinbarung nach dem Zufallsprinzip Taschenkontrollen nach Ende ihrer Arbeitszeit zu dulden. Die Klägerin ist bei der Beklagten, einer Kosmetikproduzentin bzw. deren Rechtsvorgängerin seit dem 01. April 1971 als kaufmännische Angestellte beschäftigt. Sie ist Vorsitzende des Betriebsrates im gemeinsamen Betrieb der Beklagten und einer weiteren Firma. Im Betrieb sind 410 Arbeitnehmer beschäftigt. Mit dem Vorgängerbetriebsrat hatten die Arbeitgeber des Gemeinschaftsbetriebes am 08. Dezember 2009 eine Betriebsvereinbarung über die Durchführung von Torkontrollen abgeschlossen (Betriebsvereinbarung Torkontrollen). Darin ist u. a. geregelt:

»4. Durchführung der Torkontrollen:

4.1. Zum Schutze des persönlichen und betrieblichen Eigentums werden aus den Ausgangsdrehkreuzen durch dazu bestimmten Personen Kontrollen durchgeführt. Alle Betriebsangehörigen haben auf Verlangen über Betriebsprodukte in ihrem Besitz einen Nachweis vorzuzeigen (Kassenbon Personalverkauf).
4.2. Durch die beim Verlassen des Werkes notwendige Öffnung der Drehkreuze mittels des Werksausweises wird eine Auswahl der zu kontrollierenden Personen über einen Zufallsgenerator getroffen. Der Kontrollzyklus wird dem Betriebsrat mitgeteilt. Bei Verlassen des Werksgeländes über die Pforte kann ebenfalls jederzeit eine Kontrolle durchgeführt werden.
4.3. Die Kontrolle findet im Pförtnerraum an einer nicht einsehbaren Stelle statt. Die Kontrolle bezieht sich auf die Durchsicht mitgeführter Behältnisse, Jacken- und Manteltaschen. In begründeten Verdachtsfällen wird der Mitarbeiter aufgefordert, sämtliche Kleidertaschen (Hosen und Kleider) zu leeren. Weigert sich der Mitarbeiter dem nachzukommen, kann die Kontrolle auf Veranlassung der Firma durch die zuständige Polizei durchgeführt werden. Über jede durchgeführte Kontrolle wird ein Protokoll angefertigt. Dieses Protokoll ist von demjenigen zu unterzeichnen, der die Kontrolle durchgeführt hat und von dem/der betroffenen Mitarbeiter/in gegenzuzeichnen. Es dienst als Nachweis der Durchführung sowie hinsichtlich etwaig beschlagnahmter Gegenstände.«

Die im Betrieb der Beklagten Beschäftigten dokumentieren ihre Arbeitszeiten in einem elektronischen Zeiterfassungssystem. Die hierzu notwendigen Geräte sind auf dem Betriebsgelände, und zwar im Gebäude, installiert. Das Drehkreuz zum Verlassen des durch einen durchgängigen Zaun gesicherten Teils des Betriebsgeländes befindet sich außerhalb des Betriebsgebäudes. Die Pförtnerloge schließt sich an. Daran schließt sich der zum Betriebsgelände gehörende Parkplatz.
Am 04. Juni 2010 dokumentierte die Klägerin das Ende ihrer am Zeiterfassungssystem im Betriebsgebäude und begab sich sodann zum Drehkreuz, um den Betrieb zu verlassen. Ein Zufallsgenerator bewirkte, dass für sie das Drehkreuz gesperrt blieb. Der Pförtner eines beauftragten Unternehmens kam hinzu und reichte der Klägerin seinen zum Aufheben der Sperre erforderlichen Ausweis durch den Zaun. Die Klägerin entriegelte das Drehkreuz und schritt hindurch. Der Aufforderung des Pförtners, ihm in den Pförtnerraum zu folgen, um eine Taschenkontrolle durchführen zu lassen, kam sie nicht nach.

Aus diesem Grund erteilte die Beklagte der Klägerin unter dem 18. Juni 2010 eine Abmahnung. Gegen diese Abmahnung erhob die Klägerin Klage zum Arbeitsgericht in Darmstadt. Sie beantragte zudem festzustellen, dass sie nicht verpflichtet ist, außerhalb ihrer Arbeitszeit sowie nach Verlassen des Betriebsgeländes Kontrollmaßnahmen ihres Arbeitgebers oder Dritter zu dulden. Die Klägerin führte an, sie sei nicht verpflichtet gewesen, ihre Tasche kontrollieren zu lassen. Nach Durchschreiten des Drehkreuzes habe sie sich nicht mehr auf dem Betriebsgelände befunden. Ihre Arbeitszeit habe schon zuvor mit der Betätigung des Zeiterfassungsgeräts geendet, danach sei sie keinen Weisungen des Arbeitgebers mehr unterworfen und habe nicht die Verpflichtung, Kontrollen zu dulden. Die verlangte Taschenkontrolle stelle einen unzulässigen Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht dar. Die Betriebsvereinbarung sei daher rechtswidrig. Das Arbeitsgericht wies ihre Klage allerdings mit Urteil vom 24. November 2010 ab.

Wie hat das Hessische Landesarbeitsgericht entschieden?


Auch das LAG entschied nicht im Sinne der Klägerin und wies ihre Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Darmstadt zurück. Zur Begründung führte das LAG an, die Klägerin habe gegen die Verpflichtung aus dieser Betriebsvereinbarung verstoßen, so dass die Abmahnung gerechtfertigt sei.

Die »Betriebsvereinbarung Torkontrollen« sei, wie schon vom Arbeitsgericht festgestellt, wirksam und verletze insbesondere das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin nicht. Die nach der Betriebsvereinbarung vorgesehenen Taschenkontrollen seien nicht deshalb rechtswidrig, weil sie nach Durchschreiten des Drehkreuzes in der Pförtnerloge erfolgen sollen. Die Pförtnerloge befinde sich unstreitig zwar außerhalb des durch einen durchgängigen Zaun gesicherten Bereichs, aber jedenfalls noch auf dem Betriebsgelände. Es bestehe kein zwingender Grund, eine Torkontrolle noch innerhalb des gesicherten Bereichs durchzuführen. Vielmehr erscheine es sachlich gerechtfertigt, Kontrollmaßnahmen unmittelbar nach Verlassen des gesicherten Bereichs in einer uneinsehbaren Räumlichkeit durchzuführen.

Die von der Arbeitgeberin verlangte Taschenkontrolle sei auch nicht deshalb rechtswidrig, weil die Torkontrolle erfolgte, nachdem die Klägerin das Gerät zur Erfassung ihrer Arbeitszeit betätigt hatte. Dadurch hatte die Klägerin den Zeitpunkt dokumentiert, zu dem die zu bezahlende Arbeitszeit endete. Danach bestand für die Klägerin keine Pflicht mehr zu arbeiten. Das bedeutet aber nicht, dass die Klägerin keinerlei arbeitsvertragliche Pflichten mehr hatte. Auch nach Ende der Arbeitszeit, so das LAG, könnten noch arbeitsvertragliche Verpflichtungen bestehen. Die Betriebsvereinbarung habe Pflichten der Arbeitnehmer begründet, die unabhängig vom Ende der Arbeitszeit bestehen. Sie betreffen nicht nur Torkontrollen, sondern auch den Einsatz und Aufbewahrung des Werksausweises. Aus Sicht des LAG bestehen keine Bedenken dagegen, die Torkontrollen unmittelbar im Anschluss an die bezahlte Arbeitszeit durchzuführen.

Ausdrücklich offen ließ das LAG die vergütungsrechtliche Frage, ob ein durch die Kontrollen entstehender Mehraufwand an Zeit vom Arbeitgeber als Arbeitszeit zu bezahlen sei.

Gegen das Urteil wurde die Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) zugelassen. Die Revision ist beim Bundesarbeitsgericht unter dem Aktenzeichen 1 AZR 819/11 anhängig.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Die Betriebsvereinbarung Taschenkontrolle ist wirksam. Sie verletzt das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht. Die ist die Ausgangssituation.
Es muss entschieden werden, ob damit die Taschenkontrolle nach Durchschreiten des Drehkreuzes und damit nach Verlassen des Betriebsgeländes zulässig ist.
Die Klägerin meint, durch die Kontrolle würde sie völlig grundlos als mögliche Diebin abgestempelt.
Es müssen die Interessen des Arbeitgebers zum Schutz vor Diebstahl mit dem Interesse des Arbeitnehmers auf Wahrung des Persönlichkeitsrechts gegeneinander abgewogen werden.
Die Betriebsvereinbarung ist unter Mitwirkung des Betriebsrates zustande gekommen. Der Kontrollzyklus wird dem Betriebsrat mitgeteilt. Dieser kann also Einfluss nehmen. Das Procedere der Kontrolle ist genau festgelegt. In diesem Fall hat das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers zurückzutreten. Insbesondere da es sich im vorliegenden Fall um kleine Gegenstände, nämlich Parfumflaschen  handelt, die ohne weiteres in Handtaschen oder Jackentaschen transportiert werden können.
Mit der Arbeitszeit endet nicht jede Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis bis zum Beginn des nächsten Arbeitstages. Dazu gehören beispielsweise das Aufbewahren von Dienstschlüsseln, Handy oder dergleichen.
Im vorliegenden Fall dürfte eine Torkontrolle im sofortigen Anschluss an das Verlassen des Betriebsgeländes die sicherste Methode darstellen, Diebstähle aufzuklären. Es werden dadurch tatsächlich nur Diebstähle aufgedeckt. Es wird ein Protokoll angefertigt. Dies kann als Rechtfertigung bei Nachfragen benutzt werden.
Das Gericht hat offen gelassen, ob für die Zeit der Kontrolle ein Entgeltanspruch besteht. Dies ist meiner Ansicht nach der Fall. Jeder Betroffene sollte daher die Bezahlung einfordern.

 


Margit Körlings

Das Urteil des hessischen Landesarbeitsgericht vom 10.08.2011, 8 Sa 1945/10