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SPIEGEL ONLINE

Günther Oettingers Netzkompetenz Der Digitalkommissar und die Dummheit

Wer Nacktfotos ins Netz stellt, ist "blöd", sagt Günther Oettinger. Der künftige EU-Digitalkommissar beweist damit, dass er die Affäre um gehackte Promi-Bilder nicht begriffen hat. Er dürfte mit seinem Amt überfordert sein.

Günther Oettinger hat eine große Aufgabe vor sich. Als Digitalkommissar der Europäischen Union soll er die Bürger vor der Marktmacht amerikanischer Konzerne schützen und Europa in eine strahlende digitale Zukunft führen, mit Wachstumspotenzialen, Hightech-Jobs und superschnellem Internet für alle. Unglücklicherweise hat Oettinger nun, kurz vor seinem Amtsantritt, einen deutlichen Beleg dafür geliefert, dass er für diese Aufgabe nicht das nötige Rüstzeug mitbringt.

Als der designierte Digitalkommissar am Dienstag bei einer Anhörung im Europaparlament auf die "Risiken der Digitalisierung" zu sprechen kam, sagte er folgende Sätze, mit geradezu empörtem Unterton:

"Wenn jemand so blöd ist und als Promi ein Nacktfoto von sich selbst macht und ins Netz stellt, hat er doch nicht von uns zu erwarten, dass wir ihn schützen. Vor Dummheit kann man die Menschen nur eingeschränkt bewahren."

In den vergangenen Wochen sind bekanntlich zahlreiche US-Prominente Opfer von Kriminellen geworden. Diese Kriminellen verschafften sich mit Methoden, die denen von Strafverfolgern bei der Beweissicherung ähneln, Zugriff auf in der Datenwolke gespeicherte Back-ups von Prominenten-Handys. Diese Back-ups fertigen moderne Smartphones automatisch an, wenn man die entsprechende Funktion nicht deaktiviert. Es handelt sich um verschlüsselte und - theoretisch - für Außenstehende unzugänglich im Netz abgespeicherte Sicherungskopien von Daten.

Und weil die Prominenten von heute ihre Telefone so benutzen wie andere Menschen auch, fanden die Täter in manchen dieser Back-ups auch Fotos, manche kompromittierender als andere. Fotos, die all jene heimlichen Sexfantasien bedienen, die der Prominentenkult nun einmal mit sich bringt. Dutzende junge Frauen wurden vor der globalen Netzöffentlichkeit bloßgestellt. Schuld sind sie daran nicht. Dumm auch nicht.

Schuld sind, wie das bei Straftaten der Fall zu sein pflegt, die Täter. Mitschuld sind die Hersteller von Handys und Betriebssystemen, deren Backup-Funktionalität sich offenbar allzu leicht knacken ließ.

Schön wäre es gewesen, wenn jemand in der Anhörung nachgefragt hätte, ob Oettinger auch den Opfern von realweltlichen Einbrüchen, bei denen Privates gestohlen wird, eine Mitschuld zuweisen würde. Oder ob er vielleicht findet, dass junge Frauen, die sich selbst nackt fotografieren, generell immer ein bisschen mitschuldig sind, wenn anschließend ihre Privatsphäre, ihre Würde verletzt wird. Oder, und das hätte dann sogar zu Oettingers selbstgesetztem Auftrag zur Begrenzung der Macht der US-Konzerne gepasst, ob er sich nicht vielleicht für digitale Technologien einsetzen will, die solche Straftaten in Zukunft zumindest unwahrscheinlicher machen.

Oettingers Einlassung belegt nicht nur, dass er keine Ahnung von aktuellen Ereignissen und Zusammenhängen hat, die in den Kernbereich seines künftigen Ressorts fallen. Sie reflektiert auch eine Grundeinstellung, die sich in etwa so zusammenfassen ließe: Wer das Internet benutzt, ist selbst schuld. Da kann die EU-Kommission nicht weiterhelfen, sorry.

Bürger der EU sollten sich von diesem Digitalkommissar nicht allzu viel erwarten.