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Wiki-News Und noch ein Blog...

Der Traum von der emanzipierenden Wirkung des Webs ist noch immer nicht ausgeträumt. Nach den Bloggern machen nun von jedermann verfasste Wiki-News den professionellen Medien Konkurrenz. Ein interessantes Experiment - mit bisher wenig überraschenden Ergebnissen.

Mit jedem neuen Medium verbanden dessen Pioniere stets die Hoffnung, es werde zu einer Demokratisierung der Nachrichtenflüsse beitragen. Was für Bertolt Brechts träumerische "Radio-Theorie" galt, gilt mehr noch für das Internet: Hier kann erstmals wirklich jede und jeder frei publizieren, ohne gleich von einem exorbitanten Kostenapparat erdrückt zu werden und so in die Zwänge der so verpönten "Aufmerksamkeitsökonomie" zu geraten. Die ist der beständigste Vorwurf an die professionellen Produzenten von Medieninhalten: Sie produzierten nur, was dem Massengeschmack entspräche, weil nur Menschenmasse an die Werbewirtschaft zu verkaufen sei. Das ist natürlich zum Teil richtig, aber eben nur ein klitzekleiner Teil der Wahrheit. Das Publikum hat Ansprüche an Quali- wie Quantitäten, und die liegen bei jeder Medienmarke anders. Insofern steht jedes Medium unter dem Druck seiner ganz eigenen, "personalisierten" Aufmerksamkeitsökonomie.

Wie sich so etwas auswirkt, lässt sich zurzeit im neu geschaffenen Betatest der Newsseite der Wikipedia live besichtigen. Seit Anfang Dezember will die Wiki-Gemeinde nicht nur Enzyklopädie schaffen, sondern auch einen täglich aktuellen Nachrichtenüberblick.

Dass so etwas leichter gesagt ist als getan, muss auch den Wiki-Machern klar gewesen sein, wie dem außergewöhnlich zaghaften Editorial zum "Wikinews"-Start zu entnehmen ist. Frei nach dem Motto "Tausendmal 'Tschuldigung im Voraus" wird da das Scheitern des eigenen Anspruches schon mal als konkrete Möglichkeit angekündigt: "Zur Kontinuität gehört in einem Wiki auch das Scheitern. Wir haben das Recht und die Möglichkeit, krude Ideen einfach auszuprobieren. Wenn sie schief gehen, tut es in der Regel nicht weh."

Genau, denn prinzipiell haben solche Angebote ja wirklich die tolle Möglichkeit, frei von den Zwängen der geschmähten Aufmerksamkeitsökonomie zu operieren. Das allerdings heißt, dass sie auch niemanden dafür bezahlen können, qualitativ hochwertige Artikel beizusteuern. Zum Glück, so der feste Glaube, gibt es ja genügend Ehrenamtliche, die vielleicht sogar vor Ort wohnen, wenn da gerade eine Nachricht geschieht.

    "Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem, d.h., er würde es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden, sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn in Beziehung zu setzen. Der Rundfunk müßte demnach aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren."
    Bertolt Brecht, 1932

In der Praxis, wissen auch wir Profis, passiert so etwas allerdings eher selten. Entweder wird man von einer Redaktion an den Ort eines Geschehens geschickt, oder aber (z.B. von einer Agentur) dort vorab deponiert, weil klar ist, dass dort bald etwas passieren wird. Dass Nachrichtenagenturen so schön lückenlos berichten können, liegt daran, dass sie sich auf Netzwerke von Hunderten, mitunter Tausenden von festen und freien Journalisten stützen können.

Die Aufmerksamkeitsökonomie hat also durchaus ihre "Benefits", ohne die zu arbeiten zahlreiche Nachteile mit sich bringt, wie zuletzt auch die in zahllosen Medien zur Bewegung hochgeschriebenen politischen Blogger erfahren mussten.

Diese Nachfahren der Homepagebastler der Neunziger sind vor allem Kommentatoren des Zeitgeschehens. In den besten Fällen kommen dabei witzige, geistreiche Kommentare zur Zeit heraus. Im Durchschnitt sind News-Blogs jedoch selten mehr als tägliche Linkverzeichnisse auf das, was andere so berichten.

Kein Wunder. Kommentieren, das stellen viele Blogger schnell fest, ist leicht und dankbar. Originäre Informationen erschließen dagegen nicht: Im US-Wahlkampf sank der Stern der Blogger rapide, nachdem einige einflussreiche Blogger wegen Verbreitung diverser Fehleinschätzungen und Falschmeldungen am Pranger standen. Bei Überzeugungstätern, wurde da mit einem Mal offenbar, bestimmt mitunter der Wunsch den Inhalt der Nachricht.

Dazu kommt die Erwartungshaltung eines Publikums, das möglichst umfassend informiert werden will. Bei einem Blog zum Thema Netzkunst ist so was vielleicht noch machbar - aber was erwarten Leser von einer inzwischen ja durchaus etablierten Marke wie Wikipedia?

Alles, was sonst?

Wikipedia steht zwar für "jeder darf mitmachen", mehr aber noch für "ist umsonst und weiß alles" - die Enzyklopädie in Entstehung wird mit dem Anspruch verbunden, in Kürze größer, umfassender und aktueller sein zu wollen als die kommerzielle Konkurrenz. Ähnliches, ahnen auch die Wiki-Macher, erwarten die Leser auch vom Wiki-Newsangebot. Da kann einem der Hintern schon mal auf Grundeis gehen.

Im Editorial heißt es dazu: "Bei allem Fortschrittsoptimismus wird es zunächst darum gehen, etwas Greifbares zu produzieren, um wenigstens die Richtung oder eine grobe Intention erkennbar werden zu lassen. Idealerweise wird es möglich sein, innerhalb einer absehbaren Zeit wenigstens ein Thema kontinuierlich auf einem Niveau zu beackern, das von Lesern als brauchbar begriffen wird."

Das klingt wie ein guter Plan, kollidiert aber mit dem "Markenkern". Was für eine Spezial-Information wäre denn bei Wiki zu erwarten, die anderenorts nicht von Profis täglich aktuell angeboten würde?

Man weiß es nicht, überlässt es sozusagen dem basisdemokratischen Nachrichten-Schreib-und-Leseflow. Bis dahin bietet Wikinews ein Themen-Portfolio schon fast klassischen Zuschnittes: "Politik - Computer - Kultur - Sport - Medien - Wissenschaft - Umwelt - Recht - Buntes".

Natürlich ist das Angebot bisher nicht groß, dafür aber - wie angekündigt - sehr gut verlinkt. Allerdings nicht wie angedacht mit den eventuell in den Tiefen der Wikipedia verborgenen Schlüsseln zum Verständnis des Nachrichtenhintergrundes, sondern mit den eigentlichen Quellen der Nachrichten - denn natürlich hat auch Wiki bisher nicht viel mehr zu bieten als Verweise auf das, was andere - in diesem Fall zumeist "Profis" - berichten.

Ungeahnte Fallstricke

Selbst dieses Rumpfangebot aus umformulierten Nachrichtenhäppchen mit ehrlichen Verweisen auf die Quellen wäre unter presserechtlichen Gesichtspunkten zum Teil bedenklich bis abmahnungswürdig: Das Zitationsrecht wird bis zum offenen Plagiat überstreckt, verantwortlich ist dafür aber niemand. Die gesetzlich eingeforderte Impressumspflicht im Sinne des Presserechtes wird durch die Auskunft "akl, Leon, MilesTeg, Ilja, Eloquence, Jojoo, mbimmler, Blaite, Taube Nuss" (Auszug aus der Redaktionsliste) ansatzweise bedient, ansonsten offen ignoriert: "Da es bei Wikinews keinen Herausgeber oder Chefredakteur gibt, ist jeder aktive Benutzer herzlich eingeladen, seinen Namen unter diesen Text zu setzen." Als Seitenbetreiber wird Jimmy Wales von der Wikimedia Foundation Inc. in Florida ausgewiesen.

Na dann viel Spaß. Noch scheint es sich unter Wikijanern nicht herumgesprochen zu haben, dass es ganze Heerscharen von Anwälten gibt, die ihr Geld damit verdienen, Formulierungs-Unschärfen oder die bloße Erwähnung bestimmter Personen in Medien mit kostenpflichtigen Abmahnungen einzudecken. Solche Rechnungen bekäme bei den Wikinews dann wohl der Domainbetreiber - bei einem Angebot, in dem prinzipiell jeder publizieren darf, dürfte das nur eine reine Frage der Zeit sein.

So charmant die Idee also scheint: Der idealistische Traum vom emanzipierten Leser, der zugleich auch Reporter ist, hat seine Grenzen. Sie werden durch räumliche, geldliche, rechtliche Rahmenbedingungen gesetzt und nicht zuletzt auch durch die Erwartungen der Leserschaft.

Krass "andere" Nachrichten zu sammeln und zu verbreiten, wie es Angebote wie Slashdot oder Indymedia tun, das geht im Web, aber echte Nachrichtenseiten zu produzieren, das verlangt nach mehr.

So, wie sich Wikinews anlässt, wird daraus allenfalls eine Konkurrenz für automatisierte Sammelseiten wie Yahoo-News, juristisch nur schlechter abgesichert. Ob sich die Wiki-Gemeinde, die sich mit ihrem Lexikon-Projekt so viel Respekt verdient hat, damit einen Gefallen tut, darf man bezweifeln.