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Fidel Castro Väterchen Kuba tritt ab

Er machte Kuba zum Leuchtturm Lateinamerikas, dann dimmte er selbst dessen Strahlkraft wieder. Fidel Castro verkörperte das Bild des modernen Revolutionärs wie sonst nur Lenin. Heute trat der 81-Jährige endgültig von allen Ämtern zurück.
Fidel Castro: Der Fall in die Bedeutungslosigkeit war vielleicht die schlimmste Strafe für ihn

Fidel Castro: Der Fall in die Bedeutungslosigkeit war vielleicht die schlimmste Strafe für ihn

Foto: AP

Berlin - 50 Jahre sollten es dann doch nicht werden. Ein Jahr vor dem großen Jubiläum der Kubanischen Revolution gibt Fidel Castro auf: Der Comandante en Jefe, der zehn US-Präsidenten hat kommen und gehen sehen, trat heute endgültig von allen Ämtern zurück.

Es ist ein lang erwarteter Abschied. Die eigentliche Zäsur fand bereits im Sommer 2006 statt: Wenige Tage nach den Revolutionsfeierlichkeiten am 26. Juli legte der greise Diktator sich aufs Krankenbett und übertrug seine Ämter seinem nur wenige Jahre jüngeren Bruder Raúl und anderen Vertrauensleuten. Provisorisch, wie die kubanische Regierung immer wieder betonte.

Aber niemand glaubte wirklich an die Rückkehr des 81-Jährigen, dessen Körper offensichtlich nicht mehr mitspielen wollte. Die Nachrufe auf den Todkranken wurden bereits geschrieben. Doch Castros Wille war eisern, er wollte nicht loslassen: Immer wieder nährte er mit Artikeln in der Parteizeitung "Granma" Gerüchte, ein Comeback könnte bevorstehen. Auch im Staatsfernsehen zeigte er sich - unvergessen das gemeinsame Joghurt-Essen am Krankenbett mit Venezuelas Präsident Hugo Chávez im roten Trainingsanzug.

Geist hinter den Kulissen

Die Geschichte ging jedoch weiter: Die Kubaner und die Welt richteten sich auf das Leben nach Castro ein. Männer wie Raúl Castro, der Wirtschaftsexperte Carlos Lage und der junge Außenminister Felipe Pérez Roque rückten in den Mittelpunkt. Fidel spukt schon seit längerem nur noch als Geist durch die Kulissen.

Der quälend lange Abschied zählt nicht zu den ruhmreichsten Kapiteln in Castros Biografie. Dabei war ihm sein Ruf zeit seines Lebens sehr wichtig. Schon als junger Mann war Castro um sein Image nach dem Tod besorgt. "Die Geschichte wird mich freisprechen" - seinen berühmtesten Satz sprach er 1953. Damals stand er wegen Landesverrats vor Gericht: Mit einigen Kameraden hatte er die Moncada-Kaserne in Santiago de Cuba angegriffen. Die Revolte gegen den Diktator Fulgencio Batista schlug fehl, der promovierte Rechtsanwalt Castro wurde zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt.

Mit dieser Niederlage startete die kubanische Revolution. Sechs Jahre später war Castro im zweiten Anlauf erfolgreich: Nach seiner Begnadigung, Exil in Mexiko und Guerilla-Kampf in der Sierra Maestra zog er am 1. Januar 1959 im Triumphzug in Havanna ein und nahm eine Fünf-Zimmer-Suite in der 23. Etage des Hilton in Beschlag. Das Luxushotel, ein Wahrzeichen der Hauptstadt, trägt seither den Revolutionsnamen "Habana Libre".

49 Jahre herrschte Castro über die Insel, aber die Geschichte hat ihr endgültiges Urteil noch immer nicht gesprochen. "Ich befürchte, wir Kubaner werden die verbleibenden Jahre dieses Jahrhunderts damit verbringen, ihn zu verurteilen oder zu rechtfertigen", schwante es dem Schriftsteller Eliseo Alberto bereits 2003.

In den Geschichtsbüchern hat Castro bereits einen festen Platz - als Prototyp des modernen Revolutionärs und als einer der schillerndsten Staatsmänner des 20. Jahrhunderts. Auf dem Höhepunkt der Kuba-Krise, als 1962 ein Dritter Weltkrieg drohte, agierte der Caudillo aus dem Entwicklungsland gar auf Augenhöhe mit den beiden mächtigsten Männern der Welt: dem US-Präsidenten John F. Kennedy und dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow.

Ein Leben wie aus einem Agentenfilm

Mit seiner Revolution inspirierte Castro Generationen, nicht nur auf Kuba. Europäische Studenten und Intellektuelle waren dem charismatischen "Comandante" regelrecht verfallen, in Lateinamerika bildeten sich Guerilla-Gruppen nach dem Vorbild der "Bewegung des 26. Juli". Im reichen Norden wurden die "Barbudos" (Bärtigen) um Fidel und Ernesto Che Guevara zu Pop-Ikonen, im armen Süden zu Hoffnungsträgern für ein Leben ohne Hunger und Ignoranz.

Kuba verzeichnete Erfolge bei der Alphabetisierung, der Schulbildung, der Lebenserwartung, der Säuglingssterblichkeit und der Bekämpfung von Epidemien wie kaum ein anderes Land der Dritten Welt. Bis zuletzt sicherte Castro sich damit internationalen Respekt und Sympathie. Seine Ärzte und Lehrer setzte er gezielt in armen Ländern als Botschafter seines Systems ein.

Erkauft wurde dies mit dem Preis eines totalitären Machtapparats, der elf Millionen Kubaner im Würgegriff hielt und über zwei Millionen ins Exil trieb. Kuba unter Castro kannte keine Parteien, keine freie Presse und keine Reisefreiheit. Man kam zu Massendemonstrationen, wenn Castro es anordnete, und Nachbarn bespitzelten sich gegenseitig. Die kubanische Spielart der Diktatur bekam sogar ihren eigenen Namen: Von "Castrismo" oder "Fidelismo" ist die Rede - eine zwiespältige Ehrung, die auch schon Stalin und Franco zuteil wurde.

Wie viele Tote das Castro-Regime auf dem Gewissen hat, ist schwer zu beziffern. Historiker gehen von mehr als 12.000 Hinrichtungen aus. Mehrere zehntausend Kubaner ertranken bei der Flucht übers Meer.

Die Aura des Máximo Líder blieb davon erstaunlicherweise lange unberührt. Selbst das Herrenmagazin "Playboy" war von der Mischung aus Cohibas, Frauengeschichten und Revoluzzer-Romantik fasziniert und berichtete regelmäßig über den "roten Playboy". Sein Leben erschien wie ein einziger Agentenfilm: jede Nacht in einem anderen Haus, vergiftete Zigarren, ständig auf der Hut vor dem US-Geheimdienst CIA. Mehr als 600 Attentatsversuche überlebte Castro nach Zählung des kubanischen Geheimdiensts.

Selbst als die Revolution längst ihren Glanz verloren hatte, pilgerten westliche Politiker, Manager und Künstler weiter in das zerfallende Havanna. Eine Begegnung mit dem Mann in Olivgrün war begehrter als eine Audienz beim Papst. In der Regel ließ Castro seine Besucher bis zur letzten Minute im Ungewissen, um sie dann irgendwann mitten in der Nacht zu sich bitten. Gerhard Schröder kam 1985 als niedersächsischer SPD-Spitzenkandidat. Von Fidel lernte er, die Cohiba-Zigarre vor dem Rauchen in ein Gläschen Rum zu tunken.

Auch Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul war Castros legendärem Charme erlegen. Als sie 2000 als erstes Mitglied einer Bundesregierung auf Kuba weilte, klingelte sie zu vorgerückter Stunde die mitgereisten Journalisten aus dem Bett. Sie brannte darauf, von ihrem nächtlichen Date mit Fidel zu schwärmen.

Leitmotiv: David gegen Goliath

Castro war auch ein Meister im Umgang mit den Medien. Der erste Journalist, der sich willig instrumentalisieren ließ, war Herbert Matthews von der "New York Times". Er besuchte Castro 1957 in den Bergen der Sierra Maestra, wo die 82 Rebellen ein Jahr zuvor auf dem Motorboot "Granma" gelandet waren. Die Dinge standen nicht zum Besten - die Rebellen waren von den Batista-Truppen stark dezimiert worden. Offiziell galten sie als tot. Während des Interviews ließ Castro sich immer wieder von Kameraden Bericht erstatten, damit der Eindruck einer großen Operation entstand. Die Inszenierung glückte: Matthews berichtete wunschgemäß auf der Titelseite der "Times", dass die Rebellen nicht nur quicklebendig, sondern auch höchst erfolgreich seien. So wurde der Name Castro weltbekannt.

Castro wusste selbst am besten, dass sein Mythos sich nicht allein aus seinen Taten oder aus seiner einnehmenden Persönlichkeit speiste. "Es sind die Regierungen der Vereinigten Staaten, die mich zu dem gemacht haben, was du Mythos nennst", erklärte er einmal einem Interviewer des Parteiorgans "Granma".

Als 13-Jähriger bat Castro US-Präsident Roosevelt schriftlich um einen Gefallen: "Wenn Sie wollen, schicken Sie mir einen Zehn-Dollar-Schein," schrieb der Kleine, "weil...."

Das Verhältnis zu den USA bestimmte einen Großteil seines Lebens. Sein Interesse am großen Nachbarn erwachte früh. Als 13-Jähriger schickte Castro einen Brief an Franklin Delano Roosevelt. Auf Englisch und in ordentlicher Handschrift bat er den US-Präsidenten um einen Gefallen. "Wenn Sie wollen, schicken Sie mir einen Zehn-Dollar-Schein, weil ich noch nie einen gesehen habe", schrieb der kleine Castro und offerierte im Austausch dafür seine Dienste. "Wenn Sie Eisen brauchen, um Ihre Schiffe zu bauen, kann ich Ihnen die größten Eisenminen des Landes zeigen."

Später wurde die Neugier zur Obsession. Sein ganzes politisches Leben - und viele siebenstündige Reden - widmete Castro dem Kampf gegen das "Imperium im Norden". Es war ein biblisches Drama: Eine kleine Insel stemmt sich gegen die nur 90 Seemeilen entfernte Supermacht. David gegen Goliath. Die USA spielten ihren Part geradezu vorbildlich, aber weder die vom Auslandsgeheimdienst CIA gesteuerte Invasion der Schweinebucht durch Exilkubaner 1961 noch das später verhängte Handelsembargo zwangen Castro in die Knie. Mit jedem Abgang eines US-Präsidenten wuchs Fidels Nimbus der Unbesiegbarkeit: Am Ende hatte Castro zehn Kerben gesammelt, von Eisenhower bis Bush Junior.

Ein Ende in Ohnmacht

Mit dem Ende des Kalten Krieges verlor Kuba jedoch seinen Frontstatus, die Geschichte wurde fortan in anderen Weltregionen geschrieben. Der Fall in die Bedeutungslosigkeit war vielleicht die schlimmste Strafe für Castro. Die letzte Bastion des Sozialismus in der westlichen Hemisphäre wurde zum traurigen Kuriosum, zum Freilichtmuseum für Millionen Touristen. Während die Sowjet-Satelliten in Osteuropa zu liberalen Demokratien heranwuchsen, ließ Castro sein Land sehenden Auges verwahrlosen. Ohnmächtig musste er mit ansehen, wie sich auch in der sozialistischen Gesellschaft Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten herausbildeten. Sein letzter Kampf galt den "Neureichen" auf der Insel - doch wirkte der greise Revolutionär dabei wie Don Quijote im Kampf gegen die Windmühlen.

Castro wurde zur tragischen Figur, ein starrsinniger alter Mann, der die Zeichen der Zeit nicht erkennen wollte. Er glaubt immer noch, der Zerfall der Sowjetunion sei ein historischer Fehler und das Ende des Kapitalismus unvermeidlich. Hoffnung geben ihm die Globalisierungskritiker, die bei Weltwirtschaftsgipfeln protestieren, und die Präsidenten von Venezuela und Bolivien, Hugo Chávez und Evo Morales, die sein Werk der "Befreiung Lateinamerikas" fortzuführen versprechen.

Der Linksruck in Lateinamerika bescherte Castro in seinen letzten Regierungsjahren noch einen unerwarteten zweiten Frühling. Bei einem seiner letzten öffentlichen Auftritte, dem Mercosur-Gipfel in Argentinien, hörten die wichtigsten Regierungschefs des Kontinents dem weitschweifigen Monolog des Kubaners geduldig zu - und boten ihm schließlich eine privilegierte Partnerschaft an.

Nun sieht es so aus, als wäre Castro leichter zu ersetzen als lange geglaubt. Anderthalb Jahre nach seinem Abgang von der Bildfläche geht das Leben in Kuba seinen gewohnten Gang. 2006 war der Schock groß - kein Wunder, sind doch 70 Prozent der Kubaner nach der Revolution geboren. Der Mann, den alle "Fidel" nennen, war für sie eine Vaterfigur.

Seither hatten die Kubaner genug Zeit, sich gedanklich auf ein Leben ohne den Allmächtigen vorzubereiten. Die bange Frage, ob Kuba ohne Fidel ins Chaos stürzen würde, ist in den vergangenen anderthalb Jahren bereits beantwortet: Die neuen Machthaber konnten die Stabilität bewahren. Allerdings werden sie nun verstärkt den Druck spüren, von innen und von außen, mehr Freiheiten zuzulassen. Die Tage der "perfekten Demokratie", wie Castro sein Reich nannte, sind gezählt.

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