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Nervig, schädlich, kriminell: 40 Jahre Spam

Foto: imago/blickwinkel

40 Jahre Spam Die Erfindung, die die Welt nicht brauchte

Zwölf Millionen Dollar Umsatz, sagt Gary Thuerk, brachte seine erste Werbemail 1978. Diese Heimsuchung war der Urknall des E-Commerce - und für nervige, oft kriminelle Geschäfte. Eine kleine Kulturgeschichte des Spam.

Am 3. Mai 1978 um 12:33 Uhr verschickte Gary Thuerk eine elektronische Nachricht, die in die Internetgeschichte eingehen sollte. Wenige Sekunden später bekam ein Großteil der weltweiten Nutzer des Internetvorläufers Arpanet elektronische Post: ein Angebot über zwei neue Rechner der Digital Equipment Corp., damals Thuerks Arbeitgeber.

Die Idee des jungen Marketingmitarbeiters war in mehrfacher Hinsicht ein kleiner Urknall:

  • Mit dem Versand der etwa 600 E-Mails, von denen 393 ihr Ziel erreichten, läutete er eine neue Ära des Direktmarketings ein. Jetzt ließen sich potenzielle Kunden fast kostenfrei ansprechen.
  • Es war auch der Startschuss zum E-Commerce. Die Massenaussendung weckte so viel Interesse, dass Thuerk Computer für zwölf Millionen Dollar verkaufte.
  • Damit wurde klar, wofür man elektronische Kommunikation auch nutzen konnte: Netzwerknutzer mit ungewollten Informationen zu bombardieren. Gary Thuerk gilt deshalb als Vater der Spammail.

Etliche Empfänger seiner Werbemail beschwerten sich umgehend und vehement über die Belästigung. Ein Regelbruch sei das gewesen, monierte ein Militär: Tatsächlich verboten die Statuten des Arpanet kommerziell motivierte Kommunikation. Letztlich bewegten sich ja alle in einem der Forschung vorbehaltenen Netzwerk.

Das Advanced Research Projects Agency Network war von 1968 an im Auftrag der US-Luftwaffe entwickelt worden, auf Initiative der zehn Jahre zuvor begründeten Defense Advanced Research Projects Agency. Die Darpa war und ist eine Pentagon-Abteilung zur Forschungsförderung - stets in der Hoffnung, daraus Nutzen zu ziehen. Als experimentelles Netzwerk verband ihr Arpanet Forschungseinrichtungen, nicht etwa Armee-Abteilungen.

Die Anfänge des Netzes: Bloß keine Werbung

Arpanet, Grundstock des späteren Internet, verband also vor allem computerinteressierte Wissenschaftler. Sie nutzten den "kurzen Draht", um ständig neue Möglichkeiten auszutesten. Bereits 1971 verschickte Raymond Tomlinson die weltweit erste E-Mail - heimlich, weil "wir dafür ja nicht bezahlt wurden". Die direkte E-Kommunikation begann als Spielerei eines nicht ganz ausgelasteten Programmierers.

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Nervig, schädlich, kriminell: 40 Jahre Spam

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Sieben Jahre später nutzte jeder Arpanet-Nutzer E-Mails - und Gary Thuerk erkannte als erster, dass man mehr als nur sachliche Briefe an gezielte Adressaten verschicken konnte. Er erprobte das Prinzip Gießkanne mit einer E-Mail an alle ihm bekannten Adressen.

Thuerk bestreitet, dass seine Werbeaussendung Spam im heutigen Sinne gewesen sei. Immerhin habe es damals weltweit keine 2400 Vernetzte gegeben, und alle seien "vom Fach" gewesen. Da habe er doch davon ausgehen dürfen, mit seiner E-Mail nur bei potenziell Interessierten zu landen.

Das schützte ihn nicht vor dem Groll der damals so kleinen Netzgemeinde. Ihr war Kommerz zuwider, Thuerks "Erfindung" der Zeit gewissermaßen voraus. Er wiederholte den Versuch nicht.

Über die Achtzigerjahre bekamen immer mehr Menschen Zugang zum Netzwerk, vor allem über die sogenannten Newsgroups des Usenet, einer Plattform, die an heutige Foren-Software erinnert. Neben Diskussionsgruppen entstanden dort nun auch Hobbyforen, etwa Gruppen für Rollen- und Word-Adventure-Spieler.

Sie erfanden das Spammen ein zweites Mal. Denn sie entdeckten: Gegner konnte man "mundtot" machen, indem man ihre Foren mit massenhaften Nachrichten flutete!

Der Begriff Spam: Eine ironische Spitze

Wahrscheinlich sprach man in diesen Foren Anfang der Neunziger erstmals von "Spam", wenn man unerwünschte Massenmitteilungen meinte. Der Begriff hat zwei Ursprünge: In erster Linie war und ist Spam die Markenbezeichnung einer Art Fleischpudding in der Dose des US-Nahrungsmittelkonzerns Hormel Foods - ein "Braten für Arme".

Berühmt-berüchtigt aber wurde Spam am 15. Dezember 1970 durch die britische Chaoten-Kombo Monty Python. Ihr bizarrer Sketch spielte in einer Gaststätte, wo jedes Gericht auf der Speisekarte Spam enthielt. Zu Gast im Laden war zudem eine Horde Wikinger mit einem wuchtigen "Spam, Spam, Spam, Spam, Spaaaam!"-Chor. 35 Jahre später sollte Monty-Python-Mitglied Eric Idle "Spamalot" an den Broadway bringen, als Musicalversion des Films "Die Ritter der Kokosnuss".

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Es war wohl der Usenet-Forenverwalter Joel Furr, der sich um 1992 an diesen Sketch erinnerte, als er auf die Müllschwemme in seinen Foren sah. Das Wort machte schnell die Runde und setzte sich binnen wenigen Monaten durch.

Die Hochzeit der Werbe-Spam begann mit dem Anwaltspärchen Laurence Canter and Martha Siegel. Am 12. April 1990 überfluteten sie das Usenet mit Werbebotschaften. Angeblich verdienten sie mehr als 100.000 Dollar "mit einer Aussendung, die uns nur Pennies gekostet hat".

Die Spam-Jahrzehnte: Vom Kommerz zur Kriminalität

Die Empörung war enorm. Für einige Monate wurden Canter und Siegel zu den meistgehassten Personen im Internet. Sie ernteten, was man später einen Shitstorm nennen würde - bis hin zu physischen Bedrohungen. Canter und Siegel klemmten Internet und Telefon ab und entwickelten aus der Spam-Aktion ein Geschäftsmodell der Zukunft. Sie gründeten eine E-Marketing-Firma und veröffentlichten 1995 ihr Buch "How to Make a Fortune on the Information Superhighway". Der Inhalt lässt sich knapp zusammenfassen: mit Spam.

Damit war der Geist endgültig aus der Flasche. Spam wurde zu einer Geißel des Internets. In wenigen Jahren machte die Veröffentlichung des WWW-Protokolls und des ersten Browsers Mosaic aus dem einstigen Nerd- ein Massenmedium für Millionen, heute Milliarden Menschen. Es lockte Glücksritter, Visionäre, Börsenzocker und Kriminelle, die im Netz alle das Gleiche suchten und fanden: die Chance auf Millionenverdienste.

Kaum eine Methode schien da so effizient, wie Werbeschrott an Millionen von Menschen zu verschicken. Das Usenet wurde zunehmend zugemüllt und unbrauchbar, was die Abwanderung Richtung WWW beschleunigte. Doch Webseiten konnte man ohne aufwendiges Hacking nicht mit Spam eindecken. Die Werbemüll-Versender verlegten sich daher vor allem auf E-Mails.

Ende der Nullerjahre erreichte die Spam-Last geschätzt 85 bis 96 Prozent des gesamten E-Mail-Aufkommens, je nach Sprachraum. Spam verursachte nun echte wirtschaftliche Schäden. Weltweit reagierten Technologieunternehmen wie auch Gesetzgeber und mühten sich, die Flut einzudämmen.

Viagra, King of Spam

Kommerzielle, leidlich legal arbeitende Massenmailer verschwanden nach und nach, und doch wuchs die Flut weiter: Spamming wurde zu einem Geschäft für Kriminelle. Oft enthielten die Mails jetzt auch Viren als verstecktes Extra zu den üblichen Offerten für supergünstiges Viagra, Penisverlängerungen, gefälschte Uhren oder zu den Notrufen nigerianischer Diktatorenwitwen, die partout nicht wissen, wohin mit ihren vielen Millionen.

Es war eine logische Entwicklung: Spam-Versand kostet so gut wie nichts - jedenfalls nicht den Spammer, denn die Rechnung zahlen andere. Betrügerische Spammer bedienen sich heute fast ausschließlich sogenannter Botnetze, die ihren Müll über per Viren gekaperte Privatrechner verschicken.

Die Anbieter und Kontrolleure solcher Netzwerke sind quasi Postdienstleister für Trickbetrüger und windige Geschäftemacher. Für den Versand von ein paar hundert Millionen Spam-Mails verlangen sie nur ein paar Dollar. Aus einem einzigen befallenen Rechner mit guter Internetverbindung kitzelt eine "gute" Botnet-Software Tausende Spam-Mail-Versendungen pro Minute.

Um 2010, Höhepunkt der Spam-Welle, sollen irrwitzige etwa 60 bis 95 Trillionen Spam-Mails über die Leitungen gegangen sein. Schon 2008, errechnete das IT-Sicherheitsunternehmen McAfee, verbrauchte allein ihr Transport 33 Milliarden Kilowattstunden.

Status quo: Es spammt, aber anders

Und heute? Zumindest bei E-Mails werden die Mail-Dienstleister immer besser darin, Spam zu erkennen und auszufiltern; inzwischen erreicht das Gros seine Adressaten gar nicht mehr. Trotzdem macht Spam nach wie vor über 60 Prozent des Mail-Aufkommens aus. Immerhin: mit weiter fallender Tendenz.

Dafür rollen die Müllwellen heute an anderer Stelle. Bots fluten soziale Netzwerke wie Facebook mit Falschinformationen und auch klassischem Werbe-Spam. Die Kriminellen machen sich oft genug zu Propagandisten für Populisten, Neofaschisten oder andere Zahlungsfreudige mit Desinformationsinteressen.

Das Geschäft hat sich verändert, Geld fließt weiter - und gerade im Bereich der politischen Einflussname üppig. Legal wie illegal operierende Gruppen oder Agenturen greifen Nutzerdaten ab, um diese Nutzer dann gezielt zu manipulieren.

Was da an Informationen von A nach B fließt, mag schicker sein als die öden Werbemails, gefälliger daherkommen als der Massen-Forenpost vergangener Zeiten. Vom Wesen her ist es aber, was es seit 40 Jahren immer war: Spam. Nichts als Spam.

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