Ruby Johnson sah sich am 4. Jänner plötzlich mit einem schwerbewaffneten Polizeikommando konfrontiert.

Foto: ACLU Colorado

Die 77-jährige Ruby Johnson hat Angst davor, allein zu Hause zu sein. Schuld daran ist allerdings nicht ein Überfall, sondern ein Polizeieinsatz. Wie die "Denver Post" Anfang Dezember berichtete, stand am 4. Jänner ein Kommando der Exekutive mit Sondereinsatzausrüstung (Swat) vor ihrem Haus in Montbello, einem Stadtteil von Denver.

Ein Beamter hatte per Lautsprecher alle Personen im Haus aufgefordert, dieses zu verlassen. Als Johnson, bekleidet mit einer Baderobe, die Tür öffnete, erblickte sie Beamte mit Gewehren, einen Polizeihund nebst einem gepanzerten Polizeifahrzeug in der Einfahrt. Es folgte eine Durchsuchung des Gebäudes, bei der eine Reihe von Schäden entstand, während sie in einem Polizeiwagen sitzen musste. Doch die Pensionistin hatte mit dem zugrunde liegenden Fall nichts zu tun. Der Einsatz bei ihr entspringt, wie es aussieht, einer ungenauen Positionsangabe für ein iPhone und schludrigem Vorgehen der Behörden. Die Betroffene hat nun die Polizei geklagt.

Vom iPhone-Ping zur Durchsuchung

Am frühen Morgen des Vortages hatte Jeremy McDaniel den Diebstahl seines Trucks gemeldet, das vor einem Hotel in der Stadt geparkt war. Darin sollen sich neben 4.000 Dollar Bargeld auch ein Gewehr, fünf Pistolen, zwei Drohnen und sein Handy befunden haben. Einen Tag später benachrichtigte er die Polizei, dass er sein iPhone kurz vor Mittag und gegen vier Uhr Nachmittag zuletzt über Apples "Find My"-Funktion orten konnte. Er übermittelte auch einen Screenshot.

Das Gerätetracking verortete die beiden "Pings" nahe der Kreuzung, an der sich auch das Haus von Johnson befindet. McDaniel mietete ein Auto und fuhr selbst in die Gegend. Sein Auto entdeckte er dabei nicht, vermutete aber, dass es sich in der Garage befinden könnte. Der zuständige Beamte, Gary Staab, forderte daraufhin einen Durchsuchungsbefehl an, den die Bezirksanwaltschaft genehmigte und eine ansässige Richterin unterschrieb.

Die Durchsuchung verlief ergebnislos. Danach wurden von Johnson und ihrem Sohn allerdings ein zerstörtes Deckenpaneel, eine aufgebrochene Innentür zur Garage, ein abgebrochener Kopf bei einer Sammlerpuppe und ausgeräumte Kasten und Schränke im ganzen Haus vorgefunden.

Falschangaben und Nachlässigkeit

Mittlerweile ist klar, dass die Durchsuchung niemals hätte genehmigt werden dürfen. Staab hatte sich ausschließlich auf die Informationen des Bestohlenen verlassen und nicht versucht, diese zu verifizieren. Es gab weder eine Evaluierung, welche der Adressen am ehesten infrage kommen könnte, noch eine Überwachung oder einen Versuch, das Handy – das vom Dieb auch einfach aus dem Fenster geworfen worden sein könnte – anderweitig aufzuspüren.

Nach mehr als 40 Jahren in ihrem Haus denkt Ruby Johnson nun über einen Umzug nach.
Foto: ACLU Colorado

Das ist hochproblematisch, denn die "Find My"-Funktion spuckt häufig keinen genauen Standort aus. Auch in diesem Fall lieferte sie nur einen groben Umkreis für die Position des entwendeten iPhones. Und in dem infrage kommenden Areal befanden sich neben dem Haus von Johnson auch fünf andere, auf zwei Blöcke verteilte Anwesen. Im Antrag war dennoch Johnsons Adresse als Quelle der Standortbenachrichtigung dargestellt worden. Trotz zahlreicher Mails hatte die Polizei Johnson nie für die Zerstörungen entschädigt oder sich für das Vorgehen entschuldigt.

Auch McDaniel berichtete nichts Gutes über den Einsatz. Obwohl er direkt berichtet hatte, dass mit dem Truck auch mehrere Waffen entwendet worden waren, sei er 45 Minuten in die Telefonwarteschleife geschickt worden. Trotz mehrerer Hinweise auf frühere "Find My"-Ergebnisse, die zeigten, dass der Truck zwischenzeitlich wohl eine Stunde lang vor einer McDonalds-Filiale gestanden war, war mit Verweis auf fehlendes Personal niemand tätig geworden. Während der Kommunikation mit der Exekutive fühlte er sich nicht ernst genommen.

Entschuldigung erst nach Medienbericht

Erst als Johnsons Familie mithilfe der American Civil Liberties Union (ACLU) Klage einbrachte, wurden die Verfehlungen im vollen Ausmaß bekannt. Nachdem ein lokaler TV-Sender über die Causa berichtet hatte, erreichte diese auch Denvers Polizeichef Ron Thomas. Man wolle mit Johnsons Familie und ihrem Anwalt zusammenarbeiten, um die Angelegenheit möglichst außergerichtlich zu klären. Zudem wurde ein Trainingsprogramm für die Beamten angekündigt, um diese im Umgang mit "Find My" und ähnlichen Werkzeugen zu schulen.

Allerdings geht es der Familie auch darum, mit ihrer Klage andere davor zu schützen, ähnliche Erfahrungen zu machen. Die Frau selbst zog erst drei Monate nach dem Vorfall wieder ein und lebt bis heute in Angst, dass sich so ein Vorfall wiederholen könnte. Zudem sorgt sie sich um ihr Ansehen bei den Nachbarn nach dem Polizeieinsatz. Sollte sich ihre Situation nicht bessern, wird Johnson wohl aus dem Haus ausziehen, in dem sie seit über 40 Jahren lebt. (gpi, 13.12.2022)