Ukraines First Lady auf dem Web Summit

"Russland stellt Technologie in den Dienst des Terrors"

03.11.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
In Lissabon traf sich die globale Startup-Szene auf dem Web Summit. Ukraines First Lady richtete einen emotionalen Appell an die Tech-Community, ihrem Land zu helfen.
Ukraines First Lady Olenska Selenska bat die Tech-Community um Hilfe für ihr Land.
Ukraines First Lady Olenska Selenska bat die Tech-Community um Hilfe für ihr Land.
Foto: Piaras Ó Mídheach/??Web Summit via Sportsfile (??CC BY 2.0)

Bei ihrem Überraschungsauftritt zum Auftakt des Web Summit Anfang November in Lissabon appellierte Olena Selenska, First Lady der Ukraine, an die weltweite Tech-Community, ihr Land im Kampf gegen den russischen Aggressor nicht alleine zu lassen. "Russland stellt Technologie in den Dienst des Terrors", sagte die Gattin des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj auf der großen Bühne des Summit. Zelenska forderte die Teilnehmer auf, Technologie in den Dienst der Menschheit zu stellen, und nicht in den der Zerstörung.

Technologie könne Menschen etwa in Form von sozialen Medien oder Messenger-Diensten näher zusammenbringen, so Zelenska. "Man hört oft, dass technische Innovationen die Welt bewegen, aber es ist mehr als das. Sie haben die Macht, die Richtung zu bestimmen, in die sich die Welt bewegt." An die Adresse der in Lissabon versammelten Entwickler- und Startup-Community sagte sie: "Sie sind die Kraft, die die Welt bewegt. Sie haben das Potenzial und die Technologien, die helfen sollten - und nicht zerstören. Ich bin sicher, dass Sie die Welt in die richtige Richtung bewegen können, wenn Sie der Ukraine helfen. Deshalb lade ich Sie ein, dies zu tun. Lassen Sie es uns gemeinsam tun."

Stimmung der Investoren kühlt sich ab

Die Veranstalter des Web Summit rechnen vom 1. bis 4. November mit über 70.000 Besuchern. "Der Web Summit ist wieder da", sagte Paddy Cosgrave, Gründer und Geschäftsführer des Tech-Events, und sprach von neuen Rekorden des Summits. "Wir haben die größte Teilnehmerzahl aller Zeiten." Rund 2.300 Startups präsentieren sich in der portugiesischen Hauptstadt. Mehr gehe nicht, konstatierte Cosgrave. Man stoße an das Limit der Kapazitäten.

Cosgrave will mit dem Web Summit ein Spiegel der Gegenwart und ein Fenster in die Zukunft bieten. Die sehe allerdings derzeit nicht besonders rosig aus, räumte er ein. Die Märkte hätten sich drastisch verändert, die Stimmung der Investoren habe sich im Angesicht der Rezession deutlich abgekühlt. Cosgrave verwies jedoch darauf, dass gerade in Krisenzeiten die Zahl der Startups immer gestiegen sei. "Viele Spitzenkräfte, die entlassen wurden, machen sich mit eigenen Unternehmen selbstständig," stellte der Vater des Web Summit fest. Zudem sei es nie so leicht wie momentan gewesen, mit wenig Geld eine Firma zu gründen.

"Wir haben nur noch Geld rausgeschossen"

Insgesamt scheint in der weltweiten Startup-Szene angesichts der schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen allerdings Ernüchterung einzukehren. Viele Tech-Werte, die über Jahre hinweg immer wertvoller wurden, haben in den vergangenen Monaten massiv an Wert verloren. Auf der Venture-Bühne des Web Summit klang die Einsicht mancher Startup-Gründer durch, an der Überhitzung des Marktes nicht ganz unschuldig gewesen zu sein. Künftig sei es angesagt, mehr Solidität in den eigenen Geschäften an den Tag zu legen.

Sabina Wizander, heute Partnerin bei Creandum, hatte dem Venture-Capital-(VC-)Markt im Jahr 2016 den Rücken gekehrt. "Als ich Anfang 2021 zurückkam, war ich schockiert über das, was ich da sah. 20-Millionen-Euro-Deals wurden innerhalb von 48 Stunden abgeschlossen. Man hatte so gut wie keine Zeit, unter die Haube zu schauen." Ihr Kollege Andreas Munk Holm, Gründer von European VC, räumte ein: "Wir befanden uns in einem Zustand des Wahnsinns, in dem wir nur noch Geld rausschossen."

Lissabon lockt digitale Nomaden

In Portugal ist der Traum noch nicht ausgeträumt. Lissabons Bürgermeister Carlos Moedas verwies auf die von ihm ins Leben gerufene "Unicorn Factory Lisboa". Mittlerweile hätten sich schon acht sogenannte "Einhörner", also Startups mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde Euro, in Lissabon niedergelassen. Junge Unternehmen, die sich für das Programm bewerben, können acht Monate in der Factory verbringen, wo sie von großen Technologieunternehmen betreut werden.

Auch Portugals Wirtschaftsminister António Costa Silva hofft auf mehr Innovation und Technologie in seinem Land: "Wir haben heute eine der höchsten Zahlen von Einhörnern in Europa." Der Minister will weitere Startups mit Risikokapital anlocken. Der wirtschaftliche Wert des Startup-Sektors sei in den vergangenen sechs Jahren um den Faktor 50 gewachsen. Silva kündigte zudem ein Wirtschaftspaket in Höhe von 90 Millionen Euro an, mit dem mehr als 3.000 Startups in Lissabon und im ganzen Land unterstützt werden sollen.

Carlos Moedas, Bürgermeister von Lissabon, will die portugiesische Hauptstadt attraktiv für junge Tech-Unternehmen machen.
Carlos Moedas, Bürgermeister von Lissabon, will die portugiesische Hauptstadt attraktiv für junge Tech-Unternehmen machen.
Foto: Stephen McCarthy/??Web Summit (??CC BY 2.0)

Der Startup-Boom und das Werben um digitale Nomaden hat allerdings auch eine Schattenseite. Steuervergünstigungen, die vielen Co-Working-Spaces und die vergleichsweise geringen Lebenshaltungskosten machen Lissabon attraktiv für Gründer in der Tech-Branche. Für die Einheimischen wird damit das Leben in Lissabon teurer, auch die Durchschnittsverdiener geraten unter Druck. Gerade die Mieten für Wohnungen haben in den zurückliegenden Monaten massiv anzogen. Viele "Lisboetas" klagen darüber, keinen bezahlbaren Wohnraum mehr in der Stadt am Tejo zu finden.