Sammelklage steht bevor

Inkognito-Modus könnte Google Milliarden kosten

28.10.2022
Von 
Lucas Mearian ist Senior Reporter bei der Schwesterpublikation Computerworld  und schreibt unter anderem über Themen rund um  Windows, Future of Work, Apple und Gesundheits-IT.
Google habe Chrome-Nutzern wider besseren Wissens vorgegaukelt, ihre Privatsphäre sei im „Inkognito“-Modus geschützt - unter diesem Vorwurf streben Verbraucher eine Sammelklage an.
Der "Inkognito"-Modus in Chrome könnte Google in den USA teuer zu stehen kommen.
Der "Inkognito"-Modus in Chrome könnte Google in den USA teuer zu stehen kommen.
Foto: Mercigod - shutterstock.com

Bereits im Jahr 2020 hatten einzelne Internetnutzer Klage gegen Google eingereicht, basierend auf der Behauptung, der Konzern würde unerlaubterweise Daten über ihr Surfverhalten sammeln. Nun wird eine Bezirksrichterin im US-Bundesstaat Kalifornien darüber entscheiden, ob die Vorwürfe berechtigt sind und einer Sammelklage gegen Google stattgegeben werden kann.

Die Kläger behaupten, den Führungskräften bei Google sei seit langem bekannt gewesen, dass der Inkognito-Modus in Chrome lediglich den Anschein erwecke, die Privatsphäre der Nutzer zuschützen. In Wirklichkeit sei das nicht der Fall. Als Beweis dafür führen die Gerichtsdokumente zahlreiche Google-interne E-Mails an.

Sollte die Klage zugelassen werden, könnten dem Konzern Entschädigungszahlungen in Milliardenhöhe drohen. Im Raum steht ein Schadensersatz von 100 bis 1.000 Dollar pro Verstoß. In Summe könnten mehr als fünf Milliarden Dollar zusammenkommen.

Inkognito-Modus als interner Running Gag?

Wie unter anderem Bloomberg berichtet, zeigen die dem Gericht vorliegenden internen E-Mails, dass Chromes Inkognito-Modus ein Fake sei, über den sich die Beschäftigten im Unternehmen am laufenden Band lustig gemacht hätten. Er sei nicht dazu geeignet, die Privatsphäre der Surfer zu schützen. Manche Mitarbeiter sollen auch Kritik darüber geäußert haben, dass ihr Arbeitgeber nicht mehr tue, um den Nutzern den Level an Privatsphäre zu bieten, das sie zu haben glauben.

Das prominenteste Beispiel hierfür ist eine E-Mail, die Googles Marketing-Chefin Lorraine Twohill an Alphabet-CEO Sundar Pichai geschrieben haben soll. Darin schlägt die Managerin diverse Maßnahmen vor, um das Vertrauen der User zu stärken. Eine davon lautet, "den Inkognito-Modus wirklich privat zu machen". Der Modus biete keine echte Privatsphäre. In der Vermarktung muss ihr Team deshalb "schwammige, verfängliche Formulierungen verwenden, die mehr schaden als zuträglich sind."

Der Inkognito-Modus in Webbrowsern soll für Anonymität sorgen, indem er Internetdaten wie Suchverlauf, Cookies, Passwörter etc. automatisch löscht, so dass User diese Arbeiten nicht selbst vornehmen müssen. Dass Anwender deshalb aber noch nicht anonym surfen, ist vielen, aber eben nicht allen klar. Die IP-Adresse und viele anderen Informationen können auch beim Surfen im Inkognito-Modus gespeichert werden. Zudem sorgt der private Modus lediglich dafür, dass die Daten nicht auf dem eigenen Rechner abgelegt werden. Im Internet werden sie durchaus weitergesandt.

Die Frage ist also: Wie klärt Google seine Nutzer über den Inkognito-Modus auf? Wenn die Nutzer davon ausgehen, dass ihre Daten zu Online-Suchen oder dem Besuch von Websites nicht gespeichert werden und Google es doch tut, dann liegt hier mindestens ein Kommunikationsproblem vor. Die ursprünglich bereits im Jahr 2020 eingereichte Klage beschuldigt Google allerdings, diese Informationen heimlich gesammelt zu haben.

Die Kläger behaupten, Google sammele auch im Inkognito-Modus Nutzerdaten "mit Hilfe von Google Analytics, Google-'Fingerprinting'-Techniken, Anwendungen und Prozessen auf den PCs der Verbraucher sowie dem AdManager von Google". Der Klage zufolge nutzen mehr als 70 Prozent aller Websites einen oder mehrere dieser Google-Dienste.

Konkret behaupten die Kläger sogar, dass Software-Skripte von Google auf Websites den Browser heimlich anwiesen, eine geheime Nachricht an die Google-Server in Kalifornien zu senden, wann immer ein Nutzer im privaten Browsing-Modus eine Website besuche, auf der Google Analytics oder Google Ad Manager laufe. Google erfahre so, was die User online angesehen oder angefordert haben.

Die Kläger beanstanden auch, dass die IP-Adresse des Geräts, die Geolokalisierungsdaten und die Nutzer-ID von Google nachverfolgt und aufgezeichnet würden. "Einmal gesammelt, wird dieser Datenberg analysiert, um digitale Dossiers über Millionen von Verbrauchern zu erstellen, die in einigen Fällen anhand von Name, Geschlecht, Alter, medizinischen Informationen und politischen Themen, identifiziert werden könnten", kritiseren die Kläger.

"Unsere Aussagen werden absichtlich falsch dargestellt"

Gegenüber der Washington Post äußerte sich Google-Sprecher José Castañeda per E-Mail zu dem Fall: "Wir haben die Nutzer offen darüber informiert, was der Inkognito-Modus im Hinblick auf den Datenschutz bietet. In diesem Fall werden unsere Aussagen von den Klägern absichtlich falsch dargestellt."

Laut Jack Gold, leitender Analyst bei J. Gold Associates, erzielt Google den Großteil seiner Einnahmen mit dem Tracking von Nutzern und dem Verkauf von Werbeflächen. "Wenn sie wirklich ein völlig privates Browsing-Erlebnis schaffen würden, dann fiele diese Einnahmequelle weg." Gold vermutet, dass bei Google ein ständiger Balanceakt zwischen dem Einhalten der Privatsphäre von Usern und Tracking von Nutzerdaten stattfindet. "Kein Unternehmen wird einen kostenlosen Browser anbieten, ohne damit in irgendeiner Form Einnahmen generieren zu wollen. Die Quintessenz für die Nutzer muss sein, Vorsicht walten zu lassen." Die Wahrung der Privatsphäre von Nutzern liege nur eingeschränkt im Interesse der Anbieter. (fm)

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.