Argo AI wird abgewickelt

Ford und VW gehen beim autonomen Fahren getrennte Wege

27.10.2022
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Das hoch gehandelte Automotive Startup Argo AI ist am Ende. Ford und VW waren unzufrieden mit den Ergebnissen. Für die Entwicklung autonomer Fahrsysteme bedeutet das einen herben Rückschlag.
Eigentlich sollte VWs Elektro Bulli mit Argo-AI-Technik autonom fahren können. Doch daraus wird nun nichts. VW muss sich einen neuen Partner suchen.
Eigentlich sollte VWs Elektro Bulli mit Argo-AI-Technik autonom fahren können. Doch daraus wird nun nichts. VW muss sich einen neuen Partner suchen.
Foto: Argo AI

Argo AI, ein von Ford und Volkswagen mit vielen Milliarden Dollar aufgepumptes Automotive Startup, wird offenbar abgewickelt. Das 2016 gegründete und im amerikanischen Pittsburgh beheimatete Unternehmen hatte sich auf die Entwicklung von Systemen für autonomes Fahren spezialisiert. Nun wollen die beiden Autobauer, die jeweils 40 Prozent an Argo halten, getrennte Wege zu gehen. Teile der mehr als 2.000 Köpfe zählenden Belegschaft sollen bei Ford beziehungsweise VW einen neuen Job bekommen. Das von Argo in den vergangenen Jahren entwickelte Know-how, die Software und das geistige Eigentum sollen Ford und VW für künftige, eigene Entwicklungen nutzen können.

"Volkswagen wird nicht weiter in Argo AI investieren", teilten die Wolfsburger mit. Man werde seine Entwicklungstätigkeit auf autonomes und hochautomatisiertes Fahren fokussieren und seine Partnerschaften konsolidieren. Künftig soll VWs IT-Tochter Cariad das hochautomatisierte und autonome Fahren gemeinsam mit Bosch sowie in China mit Horizon Robotics vorantreiben.

Für den neuen VW-Chef Oliver Blume zählen in erster Linie Fokus und Geschwindigkeit. Mit beidem konnte Argo AI offenbar nicht dienen.
Für den neuen VW-Chef Oliver Blume zählen in erster Linie Fokus und Geschwindigkeit. Mit beidem konnte Argo AI offenbar nicht dienen.
Foto: Volkswagen AG

"Gerade bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien zählen Fokus und Geschwindigkeit", sagte der seit Anfang September amtierende Volkswagen-CEO Oliver Blume. "Unser Ziel ist es, unseren Kundinnen und Kunden die leistungsfähigsten Funktionen zum frühestmöglichen Zeitpunkt anzubieten und unsere Entwicklung möglichst kosteneffizient aufzustellen."

Dafür sahen beide Automobilkonzerne mit Argo keine Zukunft mehr. Offensichtlich war man in den Führungsetagen unzufrieden mit den Fortschritten. Ford gab bekannt, mit sofortiger Wirkung aus Argo AI auszusteigen und schrieb dafür in seiner Bilanz für das dritte Quartal des laufenden Jahres 2,7 Milliarden Dollar ab (PDF-Link). Der zweitgrößte US-Autobauer sprach von einer strategischen Entscheidung. Statt auf ausgereifte autonome Systeme in Level 4 (L4) zu setzen, werde man nun erst einmal in die eigenen Fahrassistenzsysteme mit Level 2+ und 3 investieren.

Autonomes Fahren wird noch lange dauern

Die Amerikaner haben offenbar das Vertrauen verloren, Argo AI könne in absehbarer Zeit praxistaugliche Systeme für autonom fahrende Autos entwickeln. Als Ford 2017 in Argo AI und autonome Fahrzeuge investierte, sei man davon ausgegangen, bis 2021 die ADAS-Technologie der Stufe 4 auf breiter Front auf den Markt bringen zu können, heißt es in einer Mitteilung. "Aber die Dinge haben sich geändert", sagte Ford-CEO Jim Farley. Für sein Unternehmen sei es nun entscheidender Bedeutung, L2+ und L3-Anwendungen zu entwickeln, die gleichzeitig den Verkehr sicherer machten. "Wir sind weiter optimistisch, was die Zukunft von L4-ADAS angeht, aber rentable, vollständig autonome Fahrzeuge in großem Maßstab sind noch weit entfernt, und wir werden diese Technologie nicht unbedingt selbst entwickeln müssen", erklärte Farley.

Ein Bild aus hoffnungsvolleren Tagen. Doch Ford-Chef James Hackett (links) musste 2020 gehen. VW schasste seine Vorstands­sprecher Herbert Diess (rechts) im Sommer 2022. Was aus Argo-Gründer Bryan Salesky (Mitte) wird, steht in den Sternen.
Ein Bild aus hoffnungsvolleren Tagen. Doch Ford-Chef James Hackett (links) musste 2020 gehen. VW schasste seine Vorstands­sprecher Herbert Diess (rechts) im Sommer 2022. Was aus Argo-Gründer Bryan Salesky (Mitte) wird, steht in den Sternen.
Foto: Argo AI

Dabei waren die Erwartungen hoch. 2019 hatte VW angekündigt, 2,6 Milliarden Dollar in Argo AI zu stecken. Eine Milliarde Dollar wurde direkt investiert. Zudem ging VWs Firmentochter Autonomous Intelligent Driving (AID), die mit etwa 1,6 Milliarden Dollar bewertet wurde, in Argo AI auf. Argo AI wurde 2019 mit insgesamt rund sieben Milliarden Dollar bewertet, der Münchner Standort von AID zum europäischen Hauptsitz von Argo AI ausgebaut.

Wie Volkswagen nun beim autonomen Fahren weitermachen will, steht noch nicht fest. An ihren Zielen halten die Wolfsburger indes fest. 2025 sollen Kunden im Rahmen des Projekts MOIA den autonom fahrenden "Elektro-Bulli" ID. Buzz in Hamburg buchen können. Dafür soll ein neuer Partner an Bord kommen, der in Kürze bekannt gegeben werden soll. "Im Zuge der Kooperation mit einem anderen Partner wird zudem die Zusammenarbeit innerhalb des Konzerns zur Entwicklung des hochautomatisierten und autonomen Fahrens verstärkt", erklärte Christian Senger, Mitglied des Markenvorstands Volkswagen Nutzfahrzeuge und verantwortlich für MaaS/TaaS und AD (Mobility und Transport as a Service; Autonomous Driving).

2025 soll VWs Elektro-Bulli ID. Buzz als Robo-Taxi durch Hamburg rollen. Damit der ehrgeizige Zeitplan eingehalten werden kann, muss der neue Partner fürs autonome Fahren ordentlich Gas geben.
2025 soll VWs Elektro-Bulli ID. Buzz als Robo-Taxi durch Hamburg rollen. Damit der ehrgeizige Zeitplan eingehalten werden kann, muss der neue Partner fürs autonome Fahren ordentlich Gas geben.
Foto: Volkswagen AG

Branchenkenner handeln die Intel-Tochter Mobileye als Favoriten für die VW-Partnerschaft. Blume hatte Anfang Oktober dem Handelsblatt gesagt, dass man "aktuell in guten Gesprächen mit einem der weltweit renommiertesten Anbieter" sei. Mobileye gehört zu den führenden Unternehmen bei der Entwicklung autonomer Fahrsysteme.