Sidewinder gegen Spionageballon
Warum man nicht mit Kanonen auf Ballone schießt

Die F-22 ist mit einer umfangreichen Bordbewaffnung ausgestattet. Dass für den Abschuss eines chinesischen Spionageballons jetzt eine Sidewinder-Rakete und nicht die Bordkanone verwendet wurde, hatte einen guten Grund.

Hickam F-22 Arrival
Foto: US Air Force

Eine Sidewinder! Wäre es nicht auch eine Nummer kleiner gegangen? Also ehrlich: Eine Luft-Luft-Rakete für eine Viertelmillion Dollar mit einem fast zehn Kilogramm schweren Gefechtskopf, nur um einen Ballon vom Himmel zu holen? Doch so einfach ist es nicht.

Eine Woche lang war der chinesische Ballon unbehelligt durch den Luftraum der USA und Kanadas geschwebt. Am Samstag um 2:39 Uhr Ortszeit hatten die Vereinigten Staaten von Amerika schließlich genug. Sie schickten zwei F-22 Raptor, um den Eindringling unschädlich zu machen.

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Die Kampfflugzeuge wurden von zwei KC-135R-Stratotankern aus Alabama und Mississippi, einer P-8A der US-Marine aus Florida und einer HC-130J der US-Küstenwache unterstützt und durch zwei F-15C von Barnes Air National Guard Base in Massachusetts ergänzt.

Die beiden F-22A kreisten zunächst unter dem Ballon, der in einer Höhe von 60.000 bis 65.000 Fuß in Richtung Osten trieb. Als der Ballon schließlich über dem Atlantik schwebte, feuerte die führende F-22A in einer Höhe von 58.000 Fuß dann eine einzelne AIM-9X Sidewinder ab.

U.S. Air Force
Die Sidewinder gehören zur primären Luft-Luft-Bewaffnung der F-22

Ein zweiter Kondensstreifen, der plötzlich vom Flugzeug in Richtung des Ziels wuchs, war alles, was sich mit bloßem Auge vom Boden aus beobachten ließ. Dann durchschlug die Luft-Luft-Rakete die Hülle des Ballons. Der war bereits ein ganzes Stück Richtung Wasseroberfläche gefallen, ehe der Knall der Explosion eine knappe Minute später die Schaulustigen am Boden erreichte.

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Der Einsatz zeigt, dass selbst eine vermeintlich einfache Aufgabe wie der Abschuss eines sich kaum bewegenden Ziels wie dem rund 70 Meter hohen Spionageballon nicht ganz so einfach zu erledigen ist, wie es zunächst wirken mag. Für den Luftkampf ist die F-22 mit unterschiedlichsten Waffentechniken ausgestattet. Für ihre M61 "Vulcan"-Bordkanone hat die Raptor 480 Schuss der 20mm-Munition an Bord. Bei einer Feuerrate von bis zu 100 Schuss pro Sekunde wäre schon die völlig ausreichend gewesen, um die Ballonhülle in Stücke zu reißen. Doch der Einsatz der M61 war unmöglich: Die Kanone der F-22 ist nicht für den Einsatz in Höhen über 50.000 Fuß zugelassen.

Infrarot-Suchkopf besser geeignet

Auch die AIM-120 AMRAAM-Raketen, die die F-22 in ihrem Waffenschacht im Rumpf mitführen kann, waren für die Aufgabe ungeeignet. Wegen ihres großen Sprengkopfs hatte die Air Force sich schon allein aus Sicherheitsgründen gegen die Rakete entschieden. Zudem findet die AIM-120 ihr Ziel mithilfe eines Radarsuchkopfs. Für eine dünne Ballonhülle ist der weit weniger geeignet als der Infrarotsuchkopf der Sidewinder.

"FRANK1" und FRANK2", so die Rufzeichen der beiden beteiligten Raptors, gehen mit ihrer Mission in die Annalen der US-amerikanischen Luftwaffengeschichte ein. Der "Sieg" über den chinesischen Ballon war der erste Luft-Luft-Abschuss einer F-22 überhaupt. Mit einer Flughöhe des Ziels von mehr als 60.000 Fuß war es zudem einer der höchsten.

Hommage an Weltkriegs-Ass

Das Rufzeichen der beiden ist eine Hommage an Leutnant Frank Luke Jr. Das Flieger-Ass hatte im Ersten Weltkrieg den Spitznamen "Arizona Balloon Buster" erlangt: In acht Tagen zerstörte er neben vier Flugzeugen auch 14 deutsche Ballons.

Ob die F-22 nun einen schwarzen Ballon als Zeichen des erfolgreichen Abschusses an die Rumpfseite lackiert bekommt, muss die 1st Fighter Wing in Langley entscheiden, bei der die siegreiche Raptor stationiert ist.

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Erscheinungsdatum 11.04.2024