„Get your ass over here“: Wie Joe Kaeser nachts einen Anruf von Elon Musk bekam

Florian Rinke20.11.2022

Der Multi-Aufsichtsrat spricht über seine Karriere, Klimaschutz und Kapitalmärkte

Joe Kaeser ist Aufsichtsratschef beim Industriekonzern Siemens Energy. Foto: Siemens Energy
Joe Kaeser ist Aufsichtsratschef beim Industriekonzern Siemens Energy. Foto: Siemens Energy

Als Siemens-Chef zählte Joe Kaeser zu den mächtigsten und meinungsstärksten Managern des Landes. Inzwischen hat er die Seiten gewechselt und zieht als Multi-Aufsichtsrat die Fäden. Im OMR Podcast spricht er über seine Strategie bei Siemens, sein Investment in einen Wald – und einen wütenden nächtlichen Anruf von Tesla-Chef Elon Musk.

Das Temperament von Elon Musk hat Joe Kaeser bereits live erlebt. „Get your ass over here, I wanna see you tomorrow“, habe der Tesla-Chef ins Handy gebrüllt, erinnert sich Joe Kaeser im OMR Podcast: „Man hatte den Eindruck, man hätte das Handy weglegen können und hätte ihn über den Atlantik auch noch gehört“. Joe Kaeser ist damals Chef des Industriekonzerns Siemens, der Automatisierungstechnik für die Autofabriken von Tesla geliefert hat. Musk wiederum kämpft mit dem Hochfahren seiner Fabriken. Vieles läuft in der von ihm selbst so bezeichneten „Produktionshölle“ nicht rund. Und nun soll Kaeser helfen.

Um die Geschichte abzukürzen: Kaeser hat seinen Allerwertesten nicht über den Atlantik bewegt und Musk hat die Probleme nach und nach in den Griff bekommen. Ob ihm das beim von ihm gekauften Kurznachrichtendienst Twitter nun auch nochmal gelingt? Zuletzt mehrten sich die kritischen Berichte, der Nimbus des genialen Unternehmers bekam Kratzer. Elon Musk sei eine unglaublich interessante Persönlichkeit, sagt Joe Kaeser im OMR Podcast. Beim Tesla- und Twitter-Chef gebe es eine Trennlinie. Oberhalb dieser Trennlinie sei Genie, unterhalb Chaos. „Es gibt dazwischen keinen Puffer“, sagt Kaeser. Abschreiben würde er Musk daher nicht: „Elon Musk gewinnt seine Spiele immer irgendwie 8:6, nie 1:0“.

Joe Kaeser sorgte bei Twitter für Aufregung

Es gab in den vergangenen Jahren kaum einen Vorstandschef in der deutschen Wirtschaft, der weltweit so vernetzt und einflussreich war wie Joe Kaeser. Als Chef eines der größten Industriekonzerne der Welt gehörte der Manager quasi zur Stammbesetzung jeder Delegationsreise der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Und gleichzeitig sorgte er auch immer wieder abseits der Quartalszahlen für Schlagzeilen – etwa, als er der Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer vermeintlich einen Sitz im Aufsichtsrat des Tochterunternehmens Siemens Energy anbot. Oder als die Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, im Bundestag abfällig über Muslime sprach, und Joe Kaeser twitterte: „Lieber Kopftuchmädel als Bund Deutscher Mädel“.

„Meine Überzeugung ist, dass man als Unternehmenslenker oder Unternehmenslenkerin auch eine Verantwortung hat, sich zu gesellschaftspolitischen Themen zu äußern“, sagt Joe Kaeser im OMR Podcast. Vielen Aktionär*innen sei das vielleicht nicht so wichtig, deren Interesse sei eher ein höherer Aktienkurs. Aber es gebe eben beispielsweise auch die Interessen der Mitarbeitenden. In einer Online-Umfrage habe er damals die Mitarbeitenden gefragt, ob sie möchten, dass sich der CEO zu gesellschaftspolitischen Themen äußert. 89 Prozent sagten laut Kaeser: Ja. Um eine solche Rolle einzunehmen, müsse man allerdings mindestens so erfolgreich sein wie seine Wettbewerber, sagt Joe Kaeser. Andernfalls empfehle er: „Kopf runter, härter arbeiten, bessere Ergebnisse“. Erst wenn wieder alles in Ordnung sei, könne man wieder andere kritisieren.

Vom Siemens-Chef zum Multi-Aufsichtsrat

Als Siemens-Chef hat Joe Kaeser das Gesicht des Konzerns gravierend verändert. Aus dem 1847 gegründeten Industriekonglomerat wurden unter seiner Regie drei Einheiten geformt. Die Gesundheitssparte wurde als Siemens Healthineers an die Börse gebracht, das Energiegeschäft als Siemens Energy. „Die Entscheidungsprozesse sind viel schneller geworden. Sie sind auch viel einfacher geworden, weil das Miteinander von Arbeitnehmern und der Kapitalseite fokussierter passiert“, sagt Joe Kaeser im OMR Podcast. Alle drei Firmen notieren inzwischen im deutschen Aktienindex Dax (während junge Firmen dort Mangelware sind, wie wir unter anderem in diesem Podcast-Special besprochen haben). Rechnet man ihre Marktwerte zusammen, kommen die drei Siemens-Unternehmen auf einen höheren Börsenwert als Deutschlands aktuell wertvollstes Unternehmen Linde. Das war früher, als Siemens noch eine Art Holding war, anders.

Inzwischen hat Joe Kaeser die Seiten gewechselt. Die Amtsübergabe klappte – anders als bei seinen Vorgängern – relativ geräuschlos. Der 65-Jährige wiederum leitet inzwischen den Aufsichtsrat von Siemens Energy und sitzt in den Kontrollgremien von Daimler Trucks und dem Gasekonzern Linde. Parallel investiert er sein Vermögen unter anderem in Private Equity – und einen Forst. Doch während er bei Siemens vor harten Einschnitten nicht zurückscheute, zögert er beim Wald offenbar immer wieder, das Maximum an Rendite zu heben. Joe Kaeser lacht, wenn er von den Blicken der Forstwirte erzählt, wenn er ihnen verbietet, den alten Baumbestand komplett zu roden, um schnell wachsende Fichten zu pflanzen. Aber Kaeser ist das egal: „Ich werde nicht einen 300, 400, 500 Jahre alten Baum, der weiß Gott die Welt gesehen hat, abschneiden und daraus Leimholz machen“.

Im OMR Podcast erzählt Joe Kaeser außerdem, welche Entscheidung seine Karriere bei Siemens gerettet hat, wieso er Fridays-for-Future-Aktivistin Luisa Neubauer einen Posten bei Siemens Energy angeboten hat und wieso sich sein Blick auf China in den vergangenen Jahren verändert hat.

Die Themen des OMR Podcasts mit Joe Kaeser im Überblick:

  • Joe Kaeser über China und die Folgen für die deutsche Wirtschaft (00:03:45)
  • Wie Joe Kaeser zum Siemens-Chef wurde und dort die Weichen stellte (00:08:30)
  • Mehr Staat ist nicht immer besser – Kaesers Blick auf Deutschland (00:32:30)
  • Nächtliche Anrufe von Elon Musk (00:39:45)
  • Wie der frühere Siemens-Chef mit Tweets für Diskussionen sorgte (00:46:00)
  • Der Klimawandel und ein Jobangebot für Luisa Neubauer (00:54:30)
  • Warum ein Wechsel in die Politik keine Option (01:05:30)
  • Ein Wald als Geldanlage (01:13:15)

Alle Infos zu ausgewählten Werbepartnern findest Du hier.

BörseDAXElon MuskJoe KaeserOMR PodcastSiemensSiemens EnergyTeslaTwitter
Florian Rinke
Autor*In
Florian Rinke

Florian Rinke ist Host des Podcast "OMR Rabbit Hole" und verantwortet in der OMR-Redaktion den "OMR Podcast". Vor seinem Wechsel Anfang 2022 zu OMR berichtete er mehr als sieben Jahre lang für die Rheinische Post über Start-ups und Digitalpolitik und baute die Rubrik „RP-Gründerzeit“ auf. 2020 erschien sein Buch „Silicon Rheinland".

Alle Artikel von Florian Rinke

Ähnliche Artikel

Aktuelle Stories und die wichtigsten News für Marketeers direkt in dein Postfach!
Zeig mir ein Beispiel