StartFührung & KommunikationTaktische Datenbrille IVAS – U.S. Army will trotz Mängeln am 22-Milliarden-Dollar-Projekt festhalten

Taktische Datenbrille IVAS – U.S. Army will trotz Mängeln am 22-Milliarden-Dollar-Projekt festhalten

Waldemar Geiger

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Die U.S. Army beabsichtigt weiterhin die Entwicklung und Einführung der taktischen Datenbrille „Integrated Visual Augmentation System“ (IVAS), obwohl im Sommer 2022 erfolgte Truppenversuche erhebliche Mängel in den Bereichen Zuverlässigkeit, Sensorleistung bei eingeschränkter Sicht und Formfaktor der Brille offenbart haben. Dies geht aus einem am 14. März veröffentlichten Beitrag auf der Webseite des US-Heeres hervor. Demnach wird sich die Einführung der Brille in die reguläre Truppe um mehrere Jahre verzögern, da zuerst technische Verbesserungen und zusätzliche Truppenversuche erfolgen sollen.

Die U.S. Army hatte bereits am 26. März 2021 mit Microsoft einen über fünf Jahre laufenden Vertrag zur Herstellung und Lieferung der neuartigen Multifunktions-Datenbrillen geschlossen mit der Option, den Vertrag um weitere fünf Jahre verlängern zu können. Das mögliche Gesamtauftragsvolumen soll sich auf 21,88 Milliarden US-Dollar belaufen.

Nachdem die Army bereits in den Jahren zuvor mehrere Prototypversionen der Brille (CS 1 bis CS 4) getestet hatte, wurden im Juni 2022 Truppenversuche mit der ersten seriennahen Version IVAS 1.0 durchgeführt. Bis dato hat die Army über 30 Truppenversuche und mehr als 100 technische Subtests abgehalten, bei denen mehr als 1.000 Soldaten über 100.000 Stunden an Benutzerfeedback für die IVAS beigesteuert haben.

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Nach Aussagen des im Januar 2023 veröffentlichten „Director, Operational Test and Evaluation – FY 2022 Annual Report“ (DOT&E 2022) fanden die IVAS-1.0-Feldversuche im Juni 2022 in Fort Bragg, North Carolina statt. Der Truppenversuch hat demnach gezeigt, dass eine Infanteriekompanie mit ihrer aktuellen Ausrüstung erfolgreicher abgeschnitten hat als die Kompanie mit der IVAS 1.0. Die Soldaten trafen mit IVAS 1.0 weniger Ziele und bekämpften Ziele langsamer als mit ihrer gegenwärtigen Ausrüstung.

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Dem DOT&E 2022 zufolge haben die Ergebnisse des Versuches gezeigt, dass die Benutzerakzeptanz weiterhin gering ist. Die Soldaten ziehen ihre derzeitige Ausrüstung (Nett Warrior und PVS-14 und Enhanced Night Vision Goggle-Binocular Nachtsichtgeräte) der IVAS vor. Die Mehrheit der Soldaten gab mindestens ein Symptom körperlicher Beeinträchtigung an, darunter Orientierungslosigkeit, Schwindel, Überanstrengung der Augen, Kopfschmerzen, Reisekrankheit und Übelkeit, Nackenverspannungen und Tunnelblick. Als Gründe für ihre Unzufriedenheit nannten die Soldaten die schlechte Leistung der IVAS 1.0 bei schlechten Lichtverhältnissen, die Displayqualität, die Schwerfälligkeit, die mangelnde Zuverlässigkeit, die Unfähigkeit, Freund und Feind zu unterscheiden, Probleme beim Schießen, körperliche Beeinträchtigungen und die eingeschränkte periphere Sicht.

Dem auf der Webseite der U.S. Army veröffentlichten Beitrag zufolge gewann das US-Heer trotzdem wichtige Erkenntnisse über die Grundfähigkeiten des taktischen Einsatzes der IVAS und ermittelte gleichzeitig Aspekte, die gezielt verbessert werden müssen. Dem Beitrag zufolge kam man zu dem Schluss, dass die IVAS erfolgreich mehrere innovative Fähigkeiten demonstrierte, aber schlussendlich drei Aspekte der Brille verhinderten, dass die Systeme von der Testtruppe akzeptiert wurden: „Zuverlässigkeit, Sensorleistung bei eingeschränkter Sicht und Formfaktor“.

Die Army scheint trotzdem weiterhin von dem Potenzial des Systems überzeugt zu sein. So wurden der U.S. Army im Rahmen von Übungen wie Project Convergence verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie die IVAS auf dem Gefechtsfeld gewinnbringend eingesetzt werden kann. Nutzer der Brille können beispielsweise von anderen Sensoren (z.B. Drohnen) generierte Bilder und Videos direkt in das Sichtfeld eingespielt werden. Zudem steht den Trägern der Brille die Möglichkeit zur Verfügung, auf Technologien wie der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens zuzugreifen. Mit diesen Fähigkeiten erhalten die Soldaten mehr Informationen, um fundierte und zeitnahe Entscheidungen zu treffen, und sie bieten praktisch unbegrenzte Möglichkeiten zur Erweiterung. „Kein System im Bestand der Army ist in der Lage, unseren Soldaten eine solche Bandbreite an Optionen zu bieten wie die IVAS – diese transformative und bahnbrechende Technologie gibt es nirgendwo auf der Welt“, wird Oberst Troy Denomy in dem Beitrag zitiert. Denomy ist Project Manager Soldier Warrior (PM SWAR) in der für die Entwicklung der IVAS zuständigen Stelle der U.S. Army. „Wir setzen uns voll und ganz für IVAS ein. Wir hören auf die Rückmeldungen, die wir erhalten, und wir werden unseren Soldaten die besten Versionen der IVAS zur Verfügung stellen, die sie in die Lage versetzen, ihre Missionen erfolgreich zu erfüllen.“

Als Resultat der 1.0-Erprobung haben sich die Army und Microsoft die Weiterentwicklung der Brille samt einem angepassten Plan für die Einführung der Brille verständigt. „Wir nutzen die vom Kongress eingeräumten Spielräume für Rapid Prototyping und Rapid Fielding, um die bei den Evaluierungen festgestellten Probleme zu beheben und IVAS auf innovative und effiziente Weise weiterzuentwickeln“, wird Oberst Denomy in dem Beitrag zitiert.

Erste Fortschritte wurden offenbar bereits erzielt. So wurde im November 2022 bereits eine neue Softwareversion auf die IVAS 1.0 aufgespielt, die der Army zufolge „für eine stabilere und zuverlässigere Anwendererfahrung sorgt“. Die Softwareverbesserung ist als kontinuierlicher Prozess angelegt, der sich nach Aussagen der Army über alle aktuellen und zukünftigen Versionen von IVAS erstrecken wird.

Die Ergebnisse des Funktionstests und die prognostizierten Optimierungen der IVAS veranlassten das US-Heer dazu, im Jahr 2022 mit der Auslieferung von 5.000 IVAS-1.0-Systemen zu beginnen. Diese Systeme wurden durch den ursprünglichen IVAS-Produktionsvertrag finanziert, der im März 2021 vergeben wurde. Die IVAS 1.0-Systeme werden im nächsten Jahr an Ausbildungs- und Lehreinheiten ausgeliefert, um die Feldversuche des US-Heeres zu unterstützen. Zudem wurden im Dezember 2022 weitere 5.000 IVAS-Datenbrillen, diesmal in der Version 1.1 bei Microsoft bestellt. Die IVAS 1.1 bietet eine höhere Zuverlässigkeit und einen verbesserten Low-Light-Sensor, der eine mit dem PVS-14-Nachtsichtgerät vergleichbare Leistung aufweist, einer Nachtsichtbrille, die bereits in die Jahre gekommen ist und seit mehreren Jahren durch eine Nachfolgebrille ersetzt wird. Die 1.1-Systeme werden im Haushaltsjahr 2024 ausgeliefert, welches sich vom 1. April 2023 bis zum 31. März 2024 erstreckt.

Außerdem wurde Microsoft im Dezember 2022 mit der Technologieeinführung des IVAS 1.2 beauftragt, das voraussichtlich Ende des Haushaltsjahres 2024 in Produktion gehen und bereits ab dem ersten Quartal 2025 in Nutzung gehen soll. Der Großteil der Close Combat Force soll mit IVAS 1.2 ausgestattet werden. Diese Version soll sich durch einen verbesserten Formfaktor, höhere Zuverlässigkeit und verbesserte Sensoren für den Einsatz bei schlechten Sichtverhältnissen auszeichnen, sowie durch ein flacheres Heads-up-Display (HUD) samt Gegengewicht für einen verbesserten Tragekomfort auszeichnen. Insgesamt plant das Heer, etwa 121.500 IVAS-Systeme zu beschaffen.

IVAS

Bei der Integrated Visual Augmentation System handelt es sich um eine vor der U.S. Army in Zusammenarbeit mit Microsoft entwickelten digitalen Datenbrille, die an einen kleinen Computer und ein taktisches Funkgerät angeschlossen wird.

Das Gesamtsystem besteht aus einer Datenbrille mit integriertem Heads-Up-Display, einem kompakten Rechner, Funkgeräten für Datenübertragungen, einem konformen Akkupack, einem Ladegerät und einem taktischen Cloud-Server. Nur die Brille, das Funkgerät und die Akkus werden am Mann getragen, das Paket hat ein Gesamtgewicht von etwa 1,1 kg, welches sich sowohl auf den Kopf als auch den Körper verteilt; der Server wird auf einem Fahrzeug der Kompanie integriert. Die Brille kann sich dann mit einer Cloud auf Kompanieebene synchronisieren, dem sogenannten Bloodhound. Diese Cloud verarbeitet die Daten und aktualisiert die Informationen. Bloodhound verbindet sich dann mit einem größeren Netzwerk oder einer Cloud, wenn diese zugänglich sind, so kann ein Datenaustausch von der Ebene des Einzelschützen bis zur Ebene der Heeresführung sichergestellt werden. Die IVAS ist aber auch in der Lage, ohne eine Verbindung zu arbeiten.

Die IVAS verfügt sowohl über einen digitalen Nachtsichtkanal als auch thermographische Sensoren und kann somit sowohl bei Tageslicht als auch bei eingeschränkter Sicht genutzt werden. Die Brille verbessert die Wahrnehmung sowie das Situationsbewusstsein der Soldaten, unterstützt deren Entscheidungsfindung und hilft bei der Zielerfassung bzw. Zielbekämpfung. Das Sichtfeld der Brille sollte ursprünglich 80 Grad in der Breite und 40 Grad in der Höhe betragen.

Die Datenbrille kann dem Soldaten auf dem Gefechtsfeld Informationen darüber liefern, wo sich der Feind und wo sich die eigenen Kameraden und verbündete Soldaten befinden. Sie verwendet Gesichtserkennungssoftware, die dem Soldaten mitteilen kann, wer eine Person ist, soweit diese in einer Datenbank hinterlegt wurde. Darüber hinaus kann die Datenbrille verschiedene Sprachen ins Englische übersetzen; und sie ermöglicht den Soldaten einen digitalen, kabellosen Datenaustausch zwischen den unterschiedlichen Gruppen-, Zug- und Kompanieebenen, darunter Koordinaten und Aufnahmen des Geschehens auf dem Gefechtsfeld.

So müssen beispielsweise bestimmte Gefahrenpunkte im urbanen Kampf nicht umständlich mittels Sprache beschrieben werden. Ein Blick in die Richtung des Punktes genügt und das aufgenommene Bild kann an alle Folgekräfte weitergeleitet werden. Diese können sich dann bereits über die Lage orientieren, bevor sie an Ort und Stelle angekommen sind und müssen dann nicht das angesprochene Ziel erst umständlich suchen.

Die U.S. Army plant, alle zur Close Combat Force zählenden Truppenteile der 58 Brigade Combat Teams des US-Heeres und der U.S. Army National Guard mit der IVAS auszurüsten. Die Close Combat Forces setzen sich aus Einheiten der Infanterie, Aufklärungstruppe, Pionierkräften, Beobachtern und der an vorderster Front eingesetzten Sanitätstruppe zusammen.

Waldemar Geiger