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Die umstrittenen Praktiken der Stromanbieter Voxenergie und Primastrom

Versteckte Preis- und Abschlagserhöhungen, Probleme bei Widerruf und Kündigung: Die Vorwürfe gegen die beiden Anbieter haben sich in der Energiekrise gehäuft. Doch was sagen die Unternehmen selbst dazu?
11.07.2022

Die Klagen von Grundversorgern gegenüber Energiediscountern werden lauter.

Update zu Voxenergie und Primastrom: Der Verbraucherzentralen Bundesverband prüft eine Musterfeststellungsklage gegen die beiden Anbieter. Um die Klage zu erheben, sucht er Betroffene, die ihre Fälle schildern und dokumentieren. (Hier erfahren Sie mehr dazu.) Zudem hat die Bundesnetzagentur ein Aufsichtsverfahren gegen Voxenergie und Primastrom eingeleitet. Details finden Sie hier. Die folgende Geschichte erschien in dieser Form am 4. März.

Der Unmut bei Grundversorgern und Verbraucherschützern über die Geschäftsgebaren einzelner Strom- und Gasanbieter wächst. Machten bislang insbesondere die Marken Stromio, Gas.de und Immergrün Schlagzeilen, nehmen Verbraucherschützer zunehmend auch die Berliner Anbieter Voxenergie und Primastrom ins Visier.

Die beiden Unternehmen, die zum Konzern Primaholding gehören, sind in der Branche keine Unbekannten.

"Perfide Maschen"

Schon 2019 hatte die Verbraucherzentrale Niedersachsen gegen Voxenergie geklagt. Der Grund: Kunden des Versorgers konnten aus Sicht der Organisation nur sehr umständlich ihren monatlichen Abschlag senken. Das Gericht gab der Verbraucherzentrale Recht.

Die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg wiederum warnte im Februar 2021 vor "perfiden Maschen" des Anbieters Primastrom. Falsche Vodafone-Mitarbeiter hätten Verbraucher dazu gebracht, Unterlagen zu unterzeichnen, die zu einem ungewollten Vertragsschluss geführt und bestehendes Recht ausgehebelt hätten.

Voxenergie: "Fallen uns häufiger auf"

"Voxenergie und Primastrom gehören sicherlich zu den Energieanbietern, die uns häufiger auffallen", sagt Tiana Schönbohm, Rechtsexpertin der Verbraucherzentrale Niedersachsen. "Das hat sich in den vergangenen Wochen bestätigt."

Die Vorwürfe gegen beide Unternehmen haben sich Beginn der Energiekrise gehäuft. Matthias Moeschler, Betreiber des Portals "Verbraucherhilfe-Stromanbieter.de" erreichten nach eigenen Angaben Dutzende Beschwerden von Voxenergie- und Primastromkunden. "Dabei ging es um Kündigung, Widerruf, versteckte Abschlags- und Preiserhöhungen", sagt er. Moeschler hat eigene Seiten für Primastrom- und Voxenergie-Kunden eingerichtet.

Abmahnung für Primastrom

Die Verbraucherzentrale Hamburg mahnte im Januar Primastrom ab, da der Anbieter einen Kunden über eine Preiserhöhung zum 1. Januar 2022 nur wenige Tage zuvor informiert habe. Preiserhöhungen müssen mindestens sechs Wochen im Voraus angekündigt werden.

Der beschriebene Einzelfall sei aufgrund einer Schwärzung des Namens des angeblich betroffenen Kunden "nicht überprüfbar", ließ Primastrom über einen Rechtsanwalt der auf Medienrecht spezialisierten Kanzlei Unverzagt ausrichten. Deshalb werde die geforderte Unterlassungsverpflichtungserklärung nicht abgegeben.

Voxenergie: Verbraucherzentrale klagt

Die Verbraucherzentrale Brandenburg wiederum verklagte Voxenergie. Das Unternehmen habe auf Preiserhöhungen und damit verbundene Sonderkündigungsrechte für Kunden nicht genügend hingewiesen, heißt es. Der Verbraucherzentrale liegen nach eigenen Angaben mehrere Beschwerden vor.

Voxenergie teilte über einen Rechtsanwalt mit, dass eine inhaltliche Stellungnahme zur Abmahnung nicht möglich sei, da angeblich betroffene Kunden nicht genannt beziehungsweise in vorgelegten Schreiben geschwärzt worden seien. Insofern könne nicht nachvollzogen werden, welche Schreiben an diese zu welchem Zeitpunkt versandt worden seien.

Offenbar kein Neukundenstopp bei Voxenergie

Anders als bei manch anderem Wettbewerber lassen sich bei Voxenergie und Primastrom noch neue Verträge abschließen. Mitte Januar berechnete Voxenergie für Berlin einen Arbeitspreis von 32 Cent pro Kilowattstunde Strom. Anfang März lag der Preis bei 50 Cent pro Kilowattstunde.

Im November vergangenen Jahres gewann das Unternehmen eine Kundin aus Augsburg. Das Angebot klang angesichts explodierender Preise im Großhandel verlockend günstig. Voxenergie verlangte lediglich 29 Cent pro Kilowattstunde Strom.

Primastrom: Preiserhöhung auf Rückseite

Der Vertrag sollte am 1. Februar beginnen. Doch noch vor Vertragsbeginn, am 22. Dezember, gab der Anbieter in einem neuen Schreiben mit Verweis auf stark gestiegene Beschaffungspreise einen Arbeitspreis von 44 Cent pro Kilowattstunde Strom an. Die Preiserhöhung ging nicht explizit auf der ersten Seite hervor, sondern lediglich in einer Tabelle auf der Rückseite.

Die Kundin verfasste am 8. Januar ein Kündigungsschreiben. Sie schrieb, dass sie "Angst" habe, die für zwei Wochen geltende Frist für das Sonderkündigungsrecht verpasst zu haben. Sie widerrief zudem den Zugriff des Unternehmens auf ihr Bankkonto. Einen Anruf beim Kundenservice des Unternehmens brach sie nach 42 Minuten in der Warteschleife ab, wie sie erzählte.

Drohung mit Betrugsanzeige

Tatsächlich wurde ihre Kündigung Ende Januar bestätigt, allerdings erst für 3. Februar. Auf den Einzug eines Abschlags in Höhe von 251 Euro bestand Voxenergie im Februar nach ZfK-Informationen aber weiterhin. Weil die Kundin das Geld nicht zahlte, drohte der Anbieter, eine Betrugsanzeige zu erstatten.

Auf ZfK-Nachfrage ließ die Firma über einen Rechtsanwalt ausrichten, dass sie der Augsburgerin nach Eingang der außerordentlichen Kündigung ein sogenanntes "Win-Back"-Schreiben übersandt und damit versucht habe, sie als Kundin zurückzugewinnen. Daher sei die außerordentliche Kündigung erst am 26. Januar bearbeitet worden.

Selbstverständlich "vollständige Rückerstattung"

Die Kundin sei bis zum 3. Februar beliefert worden, weil nach Vorgaben der Bundesnetzagentur mindestens sieben Werktage zwischen Trennungsanfrage und Abschaltung vergehen müssten. "Danach war bei [Voxenergie] zunächst automatisch mit Lieferbeginn der Abschlag […] abgerechnet worden. Hierbei handelt es sich jedoch allein um einen buchungstechnischen Vorgang."

Eine Berechnung des bis zur Kündigung erfolgten Verbrauchs sei nie beabsichtigt gewesen. Die Kundin erhalte im Rahmen der Abschlussrechnung "selbstverständlich eine vollständige Rückerstattung".

Voxenergie: Aus 251 Euro werden 337 Euro

Bei Erscheinen dieses Artikels hatte die Kundin noch keine Abschlussrechnung erhalten. Stattdessen bestätigte Voxenergie per Brief den Entzug der Einzugsermächtigung.

Zugleich wies das Unternehmen darauf hin, dass die monatlichen Abschlagsbeträge in Höhe von nun sogar 337 Euro selbstständig und jeweils zum 1. eines jeden Monats auf sein Firmenkonto zu überweisen seien.

"Alle Hebel in Bewegung gesetzt"

Elisabeth von Schönberg aus dem bayerischen Feldafing machte nach eigener Aussage schlechte Erfahrungen mit dem Anbieter Primastrom. Dieser hatte sie per Telefonanruf zum Wechsel bewegt.

"Gelockt wurde ich damit, dass ich weniger als 37 Euro pro Monat zahlen würde", sagt von Schönberg. "Stattdessen wurde im November ein Abschlag von mehr als 89 Euro fällig. Daraufhin habe ich alle Hebel in Bewegung gesetzt, den Vertrag wieder zu kündigen."

Stornierte Abschlussrechnungen

Ein vorzeitiges Vertragsende zum 14. Dezember bestätigte Primastrom der Kundin.  Auf eine Abschlussrechnung sowie zurückerstattetes Geld wartete sie in den Wochen darauf vergeblich.

Auch Primastrom nahm über einen Rechtsanwalt zu dem Fall Stellung. Demnach habe der Anbieter für die Kundin zwei Abschlussrechnungen erstellt, die "aus im Nachhinein nicht nachvollziehbaren Gründen" storniert worden seien. Dies habe eine Überprüfung im Zusammenhang mit der ZfK-Anfrage ergeben. "Wir gehen davon aus, dass es sich hierbei um ein im Einzelfall aufgetretenes Versehen handelt. Eine neue Abschlussrechnung wurde bereits erstellt."

809 Euro ausstehend

Auch von Schönberg bestätigte wenige Tage später, eine Abschlussrechnung erhalten zu haben. "Laut dieser erhalte ich bis zum 11. März 91,82 Euro zurück. Ich bin gespannt, ob dies kein leeres Versprechen ist und auch tatsächlich auf mein Konto kommt."

Eine Preiserhöhung des Anbieters Primastrom nutzte eine Kundin aus der bayerischen Oberpfalz, um zu kündigen. Zu ihrer Überraschung wurden in der Endabrechnung ein noch ausstehender Betrag von 809,10 Euro ausgewiesen. Der Grund: Der Anbieter hatte nach Vertragsende weiterhin einen Grundpreis berechnet – und zwar bis zum 2. Dezember 2023. Ein "Fehler", wie der Kundin nach Beanstandung mitgeteilt wurde.

Voxenergie und Primastrom weisen Vorwürfe zurück

Die ZfK bat Voxenergie und Primastrom allgemein darum, ihr Vorgehen in der Energiekrise zu bewerten. Auch hierzu meldete sich ein Anwalt der Kanzlei Unverzagt. Er bestätigte, dass Voxenergie und Primastrom ebenso wie diverse andere Versorger Preiserhöhungen vorgenommen hätten – allerdings unter ordnungsgemäßem Hinweis auf das dadurch begründete Sonderkündigungsrecht der Kunden.

Er verwies allgemein darauf, dass bei einer ordentlichen, also fristgemäßen Kündigung der monatliche Grundpreis bis Ende der vertraglich vereinbarten Restlaufzeit zu leisten sei und auch entsprechend berechnet werde. Anderes gelte nur bei einer wirksamen außerordentlichen, also fristlosen Kündigung, für die jedoch ein zu dieser berechtigender Kündigungsgrund vorliegen müsse.

Anfrage bei Netzagentur ergebnislos

"Sofern Kunden das Vertragsverhältnis unserer Mandantschaft außerordentlich kündigen, ohne dass eine entsprechende Kündigungsgrund vorliegt, nimmt unsere Mandantschaft zurecht eine ordentliche Kündigung zum nächstmöglichen Kündigungszeitpunkt an und berechnet vertragskonform und rechtlich zutreffend den Grundpreis für die Restlaufzeit."

Die ZfK fragte bei der Bundesnetzagentur nach, ob sie in den vergangenen Wochen vermehrt Kundenbeschwerden über Voxenergie und Primastrom erhalten habe. Die Aufsichtsbehörde antwortete, sie könne keine Auskünfte zu einzelnen Unternehmen beziehungsweise Beschwerden über diese erteilen. Sie prüfe aber fortlaufend, ob energierechtliche Verpflichtungen durch Lieferanten eingehalten würden.

Unter dem Dach der Primaholding

Voxenergie und Primastrom gehören beide zur 2008 gegründeten Primaholding, die nach eigenen Angaben mit insgesamt elf Tochtergesellschaften in drei Ländern aktiv ist. Der Firmensitz ist in Berlin.

Die zuletzt veröffentlichten Geschäftsberichte von Voxenergie und Primastrom datieren vom Geschäftsjahr 2019/2020. Für dieses Jahr verzeichnete Voxenergie einen Verlust von etwas mehr als 650.000 Euro. Bei Primastrom betrug das Minus ungefähr 510.000 Euro. Im Jahr zuvor hatte Primastrom ein Defizit von 1,6 Mio. Euro aufgewiesen. Voxenergie hatte damals einen Jahresüberschuss von knapp 210.000 Euro erwirtschaftet. Die Umsätze bewegten sich jeweils im zweistelligen Millionenbereich. (aba)