CSU positioniert sich für den Wahlkampf: Für TLVS, 2. Los Puma und… Rückkehr einer Art Heeresflugabwehr

Das Wahljahr 2021 mit mehreren Landtags- und einer Bundestagswahl ist angebrochen, und die verschiedenen Parteien legen ihre Wahlkampfziele auch in der Verteidigungspolitik fest. Die CSU ist da ein Sonderfall, weil sie zwar Teil der Unionsparteien ist, aber als bayerische Regionalpartei durchaus eigene Vorstellungen hat – und das eben auch in der Sicherheitspolitik, die Sache des Bundes ist. Das gibt dem Thema noch eine andere Dynamik; deshalb ein kurzer Blick auf den Beschluss, den die CSU-Landesgruppe im Bundestag bei ihrer Klausurtagung gefasst hat.

Der Beschlussteil zur Außen- und Europapolitik (so ist jedenfalls der Dateiname), der auf der Tagung am (heutigen) Donnerstag verabschiedet wurde, trägt den Titel

Starke Bundeswehr, starkes Europa –
unsere Souveränitäts-Agenda für das nächste Jahrzehnt

und daraus – als Auszüge – die Aussagen zur Sicherheitspolitik (und meine Anmerkungen in kursiv):

Die Europäische Union und Deutschland brauchen international ein neues Selbstverständnis und einen Paradigmenwechsel – weg von der Maxime einer „ever closer union“ hin zu einem starken Europa auf der Weltbühne. Deutschland muss dabei eine Führungsrolle einnehmen und eine klare Souveränitäts-Offensive für Europa formulieren und vorantreiben.

• Wir wollen die transatlantische Partnerschaft erneuern. Die Wahlentscheidung der Amerikaner ist eine enorme Chance für die Partnerschaft zwischen Deutschland, Europa und den USA – auf einen neuen Ton, ein neues Miteinander, ein neues Kapitel der Zusammenarbeit bei der Lösung globaler Fragen. Aber für eine neue Chance dürfen wir nicht in alte Verhaltensmuster zurückfallen. Der amerikanische Schutzschirm ist keine sicherheitspolitische Hängematte. Europas und Deutschlands Anspruch muss es sein, als gleichberechtigter Partner auf Augenhöhe gemeinsam mit den USA für Freiheit, Frieden und Demokratie in der Welt einzustehen. Dazu gehört, dass wir mehr Verantwortung im Verbund unserer Bündnispartner übernehmen müssen – sowohl bei robusten Einsätzen als auch bei Friedensmissionen und bei der Entwicklungszusammenarbeit vor Ort. (…)

Das mit dem gleichberechtigten Partner auf Augenhöhe und mit mehr Verantwortung ist ein immer wieder formulierter hoher Anspruch, und an dieser Stelle bedeutet er wohl: Mehr Auslandseinsätze, als in der derzeitigen Großen Koalition mit der SPD machbar. Die Frage bleibt allerdings, mit welchem Koalitionspartner sie überhaupt so machbar wären.

• Wir wollen die NATO stärken. Die NATO ist die Basis unserer internationalen Sicherheitsarchitektur und ein verlässliches Bündnis, bei dem jeder einen angemessenen Teil der Lasten trägt und in militärische Fähigkeiten zum Schutz von uns allen investiert. Forderungen nach einem Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe oder dem Abrücken vom 2-Prozent-Ziel untergraben die Verteidigungsfähigkeit der NATO und die Glaubwürdigkeit unserer Bündnistreue. Wir als CSU im Bundestag stehen zu unseren Versprechen und wollen die NATO-Fähigkeitsziele umsetzen. Wir bekennen uns zur nuklearen Teilhabe und dem weiteren Ausbau der militärischen Zusammenarbeit in der EU durch PESCO. Damit wir allen unseren militärischen Verpflichtungen nachkommen und die Vollausstattung der Bundeswehr erreichen können, streben wir auch weiterhin das 2- Prozent-Ziel der NATO an. Wir wollen spätestens bis 2030 die Bundeswehr dazu befähigen, mindestens 10 Prozent der militärischen Fähigkeiten des Bündnisses bereitzustellen, um unseren angemessenen Anteil für die NATO zu leisten. Damit senden wir ein Zeichen der Glaubwürdigkeit an unsere NATO-Partner und unterstreichen unseren Willen zur Übernahme von mehr Verantwortung in der Welt.

Allen militärischen Verpflichtungen nachkommen, Vollausstattung, Zwei-Prozent-Ziel – und nicht, wie es Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer bislang formuliert, zehn Prozent der NATO-Fähigkeiten. Sondern mindestens zehn Prozent der militärischen Fähigkeiten. Das ist eine sportliche Ansage, die nach Erhöhung über das bislang der Allianz zugesagte Maß hinaus klingt. Ob das realistisch, auch nur innerhalb der Union konsensfähig und zudem finanzierbar ist, wird sich zeigen müssen.

• Wir wollen mehr Planungssicherheit für bessere Ausrüstung. Wir wollen eine Bundeswehr, die einsatzbereit und fähig ist, unser Land zu verteidigen und unserer Verantwortung in der Welt gerecht zu werden. Aber wer anspruchsvolle Aufträge erfüllen soll, braucht auch eine bestmögliche Ausrüstung. Wir wollen deshalb zentrale Schlüsselprojekte wie den neuen Raketenschutzschirm Taktisches Luftverteidigungssystem (TLVS), die Beschaffung neuer geschützter Einsatzfahrzeuge (2. Los PUMA, Main Ground Combat System MGCS), neuer Transporthubschrauber und des Luftkampfsystems Future Combat Air System (FCAS) sowie neuer Schiffe (F126), U-Boote und bewaffneter Drohnen engagiert vorantreiben.

Interessant: Die CSU fordert zwar mehr Planungssicherheit, erwähnt aber die Forderung der Verteidigungsministerin nach einem überjährigen Verteidigungsplanungsgesetz mit keinem Wort. Auf absehbaren Kollisionskurs mit der CDU-Ressortchefin läuft auch das Beharren auf TLVS hinaus: das System soll ja nach den Worten Kramp-Karrenbauers erst einmal in einer Entscheidungsmatrix bewertet werden. Dabei spielt vermutlich eine Rolle, dass TLVS, wenn es denn kommt, überwiegend in Bayern entwickelt und hergestellt wird – obwohl selbst die Herstellerfirma inzwischen daran zweifelt. Die Entscheidung über ein zweites Los des Schützenpanzers Puma (übrigens ein Gefechts- und eher weniger ein geschütztes Einsatzfahrzeug) ist nach dem jüngsten Rüstungsbericht auf 2022 geschoben – auch da greift die CSU den Entscheidungen der Fachleute im BMVg vor.

• Wir wollen eine neue Truppengattung Drohnen- und Flugabwehr. Die jüngsten militärischen Auseinandersetzungen um die Region Bergkarabach haben deutlich gemacht, wie stark kriegerische Auseinandersetzungen von der Fähigkeit der mobilen bodengebundenen Flugabwehr, insbesondere im Nah- und Nächstbereich, abhängen. Dem müssen wir Rechnung tragen und unsere Soldatinnen und Soldaten in die Lage versetzen, diese Gefahren zu ihrem Schutz auch wirksam abwehren zu können. Wir wollen deshalb eine Truppengattung zur Drohnen- und Flugabwehr innerhalb der Bundeswehr aufbauen und mit dem bestmöglichen Material ausstatten. (…)

Das klingt sehr nach dem immer wieder gehörten Spruch, die Auflösung der Heeresflugabwehr vor einer knappen Dekade sei ein Fehler gewesen – und das ist ja nicht unbedingt falsch. Aber ob es angesichts der Technisierung einer multilayered air defense noch so sinnvoll ist, zur Drohnen- und Flugabwehr eine neue Truppengattung aufzustellen…oder gibt’s dann einen General Drohnen- und Flugabwehr, schicke Verbandsabzeichen und so? Die Fähigkeiten sind unbestritten dringend nötig, und zwar schneller, als sich eine neue Truppengattung aufstellen ließe.

• Wir wollen die Sichtbarkeit von Jugendoffizieren in den Schulen verbessern. Die Bundeswehr ist in der Mitte der Gesellschaft – und gehört somit auch ganz selbstverständlich in unseren Schulen. Wir wollen, dass hier offen über und mit unserer Bundeswehr diskutiert wird. Die Jugendoffiziere leisten hier eine sehr gute und wertvolle Arbeit, die wir ausbauen wollen. Wir wollen sicherstellen, dass jede weiterführende Schule in regelmäßigen Abständen von einem Jugendoffizier besucht wird. Jeder Schüler soll im Laufe seiner Schullaufbahn die Chance haben, ein Seminar der Jugendoffiziere besuchen zu können. Die Information über und Auseinandersetzung mit Sicherheitspolitik muss fester Bestandteil in den Lehrplänen unserer Schulen sein. (…)

Ok, Bildungs- und Schulpolitik ist Ländersache, also gehört das eher in den Regionalteil.

• Wir wollen ein verteidigungsfähiges Europa. Nur wer wehrhaft ist, ist auch souverän. Eine Außenpolitik, die gestalten und ernstgenommen werden will, braucht auch eine Verteidigungspolitik, die schlagkräftig ist. Dieses Potenzial können wir nur heben, wenn die Systeme und Techniken der europäischen Streitkräfte auch kompatibel sind und zusammenpassen. Deshalb wollen wir die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit (PESCO) und den gemeinsamen Verteidigungsfonds weiterentwickeln und die Interoperabilität, die Einsatz- und Führungsfähigkeit der europäischen Streitkräfte weiter verbessern. Wir wollen eine effiziente europäische Verteidigungsunion als europäischen Pfeiler der NATO. Die eigene Führungsfähigkeit für militärische EU-Missionen muss durch die Errichtung eines Europäischen Hauptquartiers realisiert werden. Bei außen-, entwicklungs- und sicherheitspolitischen Fragen braucht es zukünftig ein gemeinsames europäisches Auftreten, um die Schlagkraft und das außen- und entwicklungspolitische Gewicht unseres Staatenverbundes zu vergrößern.

Die gemeinsame Handlungsfähigkeit der europäischen (NATO-)Streitkräfte ist ein wesentliches Ziel. Das immer wieder geforderte Europäische Hauptquartier (seit wann steht das eigentlich auf der Tagesordnung?) mag dazu beitragen – vielleicht sollten aber paar andere Aufgaben unterhalb dieser politisch hohen Schwelle vorher gelöst werden.

(Archivbild: Protector-Waffenstation  von Kongsberg zur Drohnenabwehr – Firmenfoto Kongsberg)