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Cybermobbing in Hessen Schüler montieren Gesichter ihrer Lehrer in Pornos

In Heppenheim haben Gymnasiasten heimlich Fotos von Lehrern gemacht und in Pornoszenen eingebaut. Wie sollen Schulen mit Cybermobbing umgehen, wenn es die eigenen Lehrkräfte trifft?

Katja Eicke holt Luft, tief, dann seufzt sie. Seit 25 Jahren ist sie im Dienst, sagt sie, aber das hat sie noch nie erlebt. Nicht an den Schulen, an denen sie in ihrem Leben bisher tätig war. Nicht dort, wo sie seit 2011 als Schulleiterin arbeitet: am Starkenburg-Gymnasium in Heppenheim, Hessen. "Ich bin entsetzt, wirklich entsetzt", sagt Katja Eicke.

An der Schule, die Eicke seit sieben Jahren leitet, herrscht gerade Ausnahmezustand. Anfang November ging es los. Schüler meldeten sich bei einem Lehrer und sagten, sie hätten mitbekommen, dass auf Instagram Fotos kursierten.

Darauf zu sehen waren Lehrer der Schule - in Situationen, die es nie gegeben hat. Jemand hatte ihre Gesichter digital ausgeschnitten und montiert: Einmal sah es so aus, als würden Lehrer in einem Porno mitwirken. Ein anderes Bild vermittelte den Eindruck, als würde ein Lehrer den Hitlergruß zeigen.

Der Lehrer, der von den Schülern angesprochen worden war, informierte Schulleiterin Eicke. "Die Bilder waren heftig", sagt sie. "Sehr, sehr beleidigend. Mir war klar, ich muss sofort reagieren."

Verbreitung in Klickgeschwindigkeit

An fast jeder fünften Schule in Deutschland hat es in den vergangenen fünf Jahren Cybermobbing gegen Lehrkräfte gegeben, zeigt eine Umfrage des Verbands Bildung und Erziehung unter Schulleitern. Cybermobbing, das sind Bedrohungen, Beschimpfungen und Hänseleien über das Internet. In Form von Texten, Fotos, Videos. Auf Facebook, Instagram oder anderen Plattformen, von denen aus die Inhalte häufig verbreitet werden. Das Mobbing kann sich auch gegen Schüler richten: Fast jeder Achte hatte das 2017 in Deutschland schon erlebt, zeigte eine Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing. Jeder siebte Schüler war schon Täter.

Das Heppenheimer Gymnasium, das zeigt der Blick auf die Zahlen, ist nur eine Schule von vielen, an denen es passiert. Gleichzeitig ist Cybermobbing ein noch ziemlich neues Problem, mit dem längst nicht alle Kollegien Erfahrung haben. Auch das zeigt der Fall in Heppenheim: "Wir müssen uns fragen: Erreichen wir eine andere Generation, die Schüler, mit unseren Präventionskonzepten wirklich, oder müssen wir irgendetwas ganz anders machen?", sagt Schulleiterin Katja Eicke.

Wer fertiggemacht wird, ob Schüler oder Lehrer, erfährt, wie es sich anfühlt die Kontrolle zu verlieren. Wie hält man etwas auf, das sich mit der Geschwindigkeit von Klicks verbreitet? Wie bestraft man die, die dafür verantwortlich sind?

Acht Lehrer betroffen

In Heppenheim musste Katja Eicke Antworten finden. Acht Lehrer aus dem Kollegium waren auf den Fotos abgebildet, die zwei Schüler der Mittelstufe über Instagram in Umlauf gebracht hatten. Betroffen waren männliche und weibliche Kollegen. Die Bilder hatten die Schüler heimlich erstellt, teilweise während des Unterrichts. "Vertrauensbruch", sagt Eicke dazu. Nachdem sie davon erfuhr, informierte sie Schulamt und Polizei.

Streit zwischen Schülern, Eltern, Lehrern: Handys an Schulen - verbieten oder nutzen?

Handys lenken ab, Handys vermasseln die Noten, Handys nerven - und Frankreich hat sie deshalb nun aus allen Schulen verbannt. Ist das sinnvoll oder kurzsichtig? 

Gerade diese Schule: ein Gymnasium, das sich auf Medienerziehung spezialisiert hat, als "Notebook-Schule" firmiert. In vielen Klassen arbeiten die Schüler mit Handys und Laptops, es gibt keine Hefte, selbst Schulbücher schlägt man über die Geräte auf. Daneben gibt es Projekte, in denen der Umgang mit Smartphones und Apps gelehrt wird. Nach einer besonderen Schulung können Schüler "digitale Helden" werden - Ansprechpartner für Mitschüler, falls die sich online mit jemandem streiten, gehänselt werden.

Gerade an dieser Schule musste die Schulleiterin nun einen Elternbrief aufsetzen, um darüber in Kenntnis zu setzen, dass es einen Fall von schwerem Cybermobbing gibt. Gerade hier wurden die zwei Schüler, die die Fotos verbreitet hatten, nun von der Schule verwiesen.

Unbedingt die Behörden einschalten

Gerade an dieser Schule musste Eicke den Gebrauch von Handys jetzt verbieten, ab sofort, auf dem gesamten Schulgelände. Und weil es diese Schule ist, an der sonst alle ständig online sind, empfinden einige zumindest das Smartphone-Verbot als Kollektivstrafe, sagt Eicke. Manche ärgerten sich, sie hätten doch gar nichts gemacht.

Egal welche Schule, egal welche Projekte: Vor Cybermobbing könnten sich Lehrer nie vollständig schützen, sagt Hans Hülsbeck, Präventionsexperte beim Bund deutscher Kriminalbeamter für das Land Nordrhein-Westfalen. Wichtig sei, schnell zu handeln, wenn ein Fall auftrete.

"Wenn jemand fertiggemacht wird, sollte man sehr offensiv damit umgehen und Schulamt oder Schulministerium und die Polizei zur Hilfe holen", sagt Hülsbeck. Er rät zu Einzelgesprächen mit den Beteiligten, auch mit Eltern.

"Nicht nur an die Täter denken"

Das Problem sei nur: Häufig sei kaum jemandem klar, ob es sich bei einem Vorfall nun um eine Straftat handele oder um eine Angelegenheit, die man auch ohne Behörden lösen könne. Doch bevor darauf zu lange herumgedacht werde, sollte man erst einmal melden, was passiert sei - den Rest sollten dann Ämter und Polizei entscheiden.

Außerdem gelte: "Nicht nur an die Täter denken, an die Bestrafung", sagt Hülsbeck. Die Opfer hätten es meist schwerer, bräuchten Betreuung. Eine Schule, ein Dorf könne auch noch Jahre nach einem Vorfall von Cybermobbing darüber tuscheln: "Es bleibt immer was hängen. Im schlimmsten Fall ist der eine Lehrer dann immer der, der einen Porno gedreht hat - obwohl er nie einen gedreht hat."

Um das zu verhindern, sei deutlich mehr Personal - und damit Geld - erforderlich. In allen Bundesländern geht die Polizei zwar an Schulen, um über Gewalt und Mobbing aufzuklären. "Doch wir würden gern noch viel mehr machen", sagt Hülsbeck.

Handyverbot bis Ende des Halbjahres

Ihre Schule müsse nun erstmal zur Ruhe kommen, sagt Katja Eicke in Heppenheim. In den kommenden Tagen will sie noch mal mit allen sprechen. Mit den Kollegen, die gerade zusammenhalten, "sehr solidarisch", sagt Eicke. Mit dem Elternbeirat will sie auch reden, mit der Schülervertretung, und immer wird es um diese Fragen gehen: Wie erreichen wir die Schüler, die Handynutzer, die Internetaffinen, die Instagrammer? Wie können wir sie in Netzwerken treffen, begleiten, beobachten, auf denen wir selbst womöglich nicht vertreten sind?

Bis zum Ende des Halbjahres gilt das Handyverbot. Der Instagram-Account, auf dem die zwei Täter die Fake-Fotos hochgeladen hatten, ist mittlerweile gelöscht. Ob und wie viele Screenshots es gibt, die sich vielleicht noch weiter verbreiten könnten, bleibt unklar. Die beiden, die dafür verantwortlich sind, werden das Starkenburg-Gymnasium in Heppenheim künftig nicht mehr als dessen Schüler betreten.