Loch in Raumstation: Wer hat da falsch gebohrt?
Loch in der ISS Die Raumstation, das Leck und ein böser Verdacht
Vor zwei Wochen registrierten die Flugleitzentren in Houston (Texas) und Koroljow bei Moskau einen leichten Druckabfall in der Internationalen Raumstation ISS. Offenbar entwich Luft in den Weltraum. Daraufhin wurden alle Segmente auf ein Leck überprüft. Mit einem Ultraschallgerät ortete die Besatzung schließlich ein Loch im angedockten russischen Raumschiff "Sojus" MS-09. Es hatte im Juni drei Astronauten, darunter auch den Deutschen Alexander Gerst, zur ISS gebracht.
Anfangs vermuteten viele, dass es durch den Einschlag eines Mikrometeoriten entstanden sein könnte. Doch dann entdeckte man Bohrspuren (siehe Foto oben) und Reste von einem Kleber, mit dem das zwei Millimeter große Loch geschlossen worden war. Der Kleber war im Weltraum offenbar eingetrocknet und dann nach draußen gedrückt worden. Er wird aber nicht standardmäßig verwendet.
Bohrer statt Mikrometeorit
Das Loch wurde dilettantisch gebohrt, die Person ist mehrfach mit dem Bohrer abgerutscht. Dies zeigt auch ein Foto, das womöglich aus einem Nasa-Video stammen soll, dessen Authentizität sich jedoch derzeit nicht prüfen lässt.
Loch in Raumstation: Wer hat da falsch gebohrt?
Kurz nach der Entdeckung wurde das Loch von den russischen Kosmonauten auf Weisung ihres Flugleitzentrums (ZUP) in Koroljow bei Moskau mit Bordmitteln, offenbar Epoxidharz, abgedichtet. Dabei überging die russische Seite offenbar die Empfehlung von ISS-Kommandant Andrew Feustel (USA), zuvor Experten zurate zu ziehen.
Die internen Untersuchungen des Falls beim Hersteller der "Sojus"-Kapseln RKK Energija wurden am Montag abgeschlossen. Der Chef des Raumfahrtstaatskonzerns GK Roskosmos, Dmitri Rogosin, erklärte daraufhin, dass die Ursache für das Loch nicht ermittelt werden konnte.
"Die Situation erwies sich als etwas komplizierter", stellte er vielsagend fest. In Agenturberichten hieß es ergänzend, man habe keinen Schuldigen gefunden. Derzeit ermittle auch die Staatsanwaltschaft bei der RKK Energija.
"Die gestörte Einheit"
Die Experten tappen in der Leck-Affäre also immer noch im Dunkeln. Wohl auch deshalb gab es bald die wildesten Spekulationen. Sie wurden ausgerechnet durch den russischen Ex-Kosmonauten Maxim Surajew angeheizt, der jetzt für die Putin Partei in der Staatsduma sitzt.
Er sagte der Nachrichtenagentur RIA Nowosti, es sei nicht ausgeschlossen, dass das Loch von einem "psychisch labilen" Besatzungsmitglied der ISS gebohrt wurde. Doch dann fügte er einschränkend hinzu, man dürfe keinen der ISS-Astronauten beschuldigen, bevor die Arbeit der Untersuchungskommission nicht abgeschlossen sei.
Neue Fakten finden
Die Moskauer Zeitung "Kommersant" griff diese Spekulation in ihrer Mittwochausgabe auf. Unter der reißerischen Überschrift "Die gestörte Union" (sie spielt damit auf den Text der sowjetischen Nationalhymne an, in dem eingangs die "unzerstörbare Union der freien Republiken" besungen wurde) schreibt das Blatt, die drei US-Astronauten an Bord könnten absichtlich das Loch in die Außenwand der "Sojus"-Orbitalsektion gebohrt haben, damit ein erkrankter Kollege so schnell wie möglich zur Erde zurückgeholt werden kann.
Raumstation ISS
Foto: DPADiese Version werde angeblich auch von der am Dienstag ins Leben gerufenen Roskosmos-Sonderkommission zur Untersuchung des Druckabfalls in der ISS "prioritär" behandelt, die die Ergebnisse der RKK Energija analysieren und "neue Fakten" finden soll.
Zudem hätten russische Spezialisten bereits ein Video von der Bohrstelle und medizinische Daten über die Astronauten bei der US-Luft- und Raumfahrtbehörde Nasa angefordert. "Wenn sich diese Version bestätigt, dann wird den russisch-amerikanischen Beziehungen im Weltraum ein schwerer Schlag versetzt", betont der "Kommersant".
Rogosin bittet Medien um Zurückhaltung
Rogosin hat die Behauptungen der Zeitung postwendend zurückgewiesen. "Die Verbreitung von Erfindungen und Gerüchten hilft den Experten von Roskosmos nicht in ihrer Arbeit und zielt auf die Untergrabung der kameradschaftlichen Beziehungen im Kollektiv der Raumstation ab", betonte er auf Facebook. "Bis zum Abschluss der Arbeit der Sonderkommission von Roskosmos ist jedwede Behauptung unter Berufung auf 'Quellen' nicht akzeptabel."
Auch der für die Raumfahrt zuständige Vizepremier Juri Borissow verurteilte das Gerücht, die Nasa-Astronauten hätten mit der Beschädigung der "Sojus"-Kapsel zu tun. Die ISS sei ein einheitliches Kollektiv, in dem es keinerlei politische Meinungsverschiedenheiten gebe, wird er von der Nachrichtenagentur Tass zitiert.
Ohnehin ist die Theorie von einem Astronauten, der heimlich ein Loch in ein Raumschiff bohrt, wenig plausibel. Es wäre ohne Frage ein guter Stoff für einen Psychothriller, aber bei gesundheitlichen Problemen ist ein Gespräch mit einer Vertrauensperson - ob im All oder auf der Erde - sicher sinnvoller als eine solche Aktion.
Arbeit der Station gesichert
Die Nasa selbst hält sich in ihren Äußerungen zu dem Fall betont zurück. Sie unterstrich aber mehrfach ihre Überzeugung, dass die Russen das Rätsel lösen werden. ISS-Kommandant Feustel sagte indes ABC News , dass die Besatzung nichts mit dem Loch zu tun habe. "Es ist eine Schande und irgendwie auch beschämend, dass Leute ihre Zeit damit verschwenden zu erklären, dass die Crew etwas damit zu tun habe."
Das Einzige, was die Besatzung getan habe, sei, dass sie "korrekt" nach den Notfall-Prozeduren gehandelt und damit die weitere Arbeit der Station gesichert habe. Feustel wird Anfang Oktober, bevor er zur Erde zurückkehrt, von Alexander Gerst als ISS-Kommandant abgelöst.
Gestern hat sich wieder gezeigt, wofür unser Notfalltraining gut ist. Konnten ein kleines Leck in unserer Soyuz finden und verschließen, dank toller Zusammenarbeit zwischen Crew und Bodenstationen auf mehreren Kontinenten. pic.twitter.com/oa1PYe3DTh
— Alexander Gerst (@Astro_Alex) August 31, 2018
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Auch der deutsche Astronaut übt verbale Zurückhaltung. In einer Raumfahrtshow mit Berliner Schülern sagte er am 4. September in einer Liveschaltung auf eine entsprechende Frage, der Vorfall zeige, "wofür unser Notfalltraining gut ist". Die Besatzung habe ein Leck entdeckt und verschlossen.
Die russischen Kosmonauten an Bord der ISS versuchen indes, die erhitzten Gemüter zu beruhigen. Sergej Prokopjew zeigte am Wochenende ein Video, um, wie er sagte, auf die vielfältigen Kommentare zu antworten und Gerüchte zu zerstreuen. "Auf der ISS ist alles ruhig", betonte er "Seien Sie bitte nicht beunruhigt, bei uns ist alles in Ordnung." Die Besatzung führe ihre Experimente planmäßig durch. Auch könne die reparierte Kapsel problemlos für die Rückkehr von drei Raumfahrern genutzt werden.
Der spezielle Roskosmos-Appell von der vergangenen Woche an die einheimischen und auch ausländischen Medien, sich nicht weiter auf anonyme Quellen zu berufen, scheint indes zu fruchten. Allerdings trägt die Raumfahrtagentur an dem kritisierten Umstand eine gewisse Mitschuld. Denn sie informiert auf ihrer Homepage nur sehr spärlich über die Leck-Affäre.