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Apples ganz eigene Welt

Korrespondent für Innovation, Netzwelt und IT
Vor zehn Jahren schaltete der iPhone-Konzern den AppStore online. Eine Goldgrube nicht nur für Apple selbst, sondern auch für Programmierer. Doch das Geschäft mit den Mini-Programmen wird immer härter

Wer aufmerksam durch Parks in deutschen Innenstädten geht, sieht sie schnell: Jugendliche, Hausfrauen, ältere Herren, die gemeinsam spazieren gehen, auf ihre Smartphones starren und hektisch darauf herumwischen. Dabei tauschen sie kryptische Bemerkungen aus: „Da, ein Magikarp am Teich.“ Die Smartphone-Flaneure sind die Hardcore-Anhänger, die vom Hype der Augmented-Reality-App „Pokémon Go“ im Sommer 2016 übrig geblieben sind. Längst ist das Spiel aus der Medienaufmerksamkeit verschwunden. Doch das Spielestudio Niantic hat es geschafft, das Spiel Monat für Monat unter den Top fünf der umsatzstärksten Apps in Apples AppStore zu halten.

„Pokémon Go“ ist in vielerlei Hinsicht sehr typisch für eine erfolgreiche App. Das Spiel bindet seine Nutzer, generiert konstante Einnahmen und ist auch zwei Jahre nach Veröffentlichung noch erfolgreich. Sein Konzept lässt sich schlecht von anderen Anbietern kopieren, da die „Pokémon“-Inhalte eine rechtlich geschützte Marke sind.

Wer als App-Entwickler kein solches Alleinstellungsmerkmal nutzen kann, sollte besser chinesische oder indische Inhalte programmieren können. Denn nur in Asien wächst der App-Markt noch signifikant. „In Europa und den USA ist der App-Boom längst vorbei“, sagt Mobil-Expertin Jessica Ekholm vom Analysedienst Gartner. „Wir bewegen uns aktuell in Richtung einer Post-App-Welt.“ Dabei feiert der AppStore gerade erst seinen zehnten Geburtstag.

Mit seinem Start im Juli 2008 schuf Apple eine komplett neue Ökonomie. Eine Welt mit eigenen Regeln, eigenen Innovationszyklen, eigenen Währungen und Konjunkturzyklen. Zwölf Millionen Menschen arbeiten aktuell weltweit daran, Apps zu entwerfen. Apple generiert laut Statistiken der Analysten von „App Annie“ über 42 Milliarden Dollar Umsatz pro Jahr mit über 30 Milliarden App-Downloads und Verkäufen von In-App-Inhalten.

Der Start des AppStore war für viele der Beginn eines Goldrausches: Tausende App-Entwickler versuchten sich in den ersten Jahren an teils trivialen, teils hochkomplexen Projekten und verkauften ihre Produkte für Cent-Preise. Apps wie der „Rote Knopf“ (Red Button) taten nichts anderes, als dem Nutzer zu sagen, dass er eben nicht den roten Knopf drücken soll – aber natürlich drückte jeder den Knopf.

Der sprechende Kater „Talking Tom“ plapperte schlicht alles nach, was der Nutzer sprach. Die „Angry Birds“ traten gegen die fiesen Schweine an und wurden zur ersten App-Weltmarke. Die teuersten Apps waren Navigationsapps für knapp 100 Euro sowie eine App, die unter dem Namen „Ich bin reich“ als digitales Statussymbol diente. Wer sie auf dem Startbildschirm zeigen konnte, hatte 999 Dollar für das Icon ausgegeben. Die App tat nichts, außer dieses Icon zu zeigen, und wurde immerhin sechsmal verkauft.

Zehn Jahre später ist mit solch simplen Mitteln kein Geld mehr zu verdienen. Der AppStore des Jahres 2018 zeichnet sich durch gnadenlose Konkurrenz aus. Zwei Millionen Apps buhlen um die Gunst der Nutzer, aber nur knapp 10.000 davon haben bislang mehr als eine Million Euro Umsatz generiert. Erfolgreiche Konzepte werden teils innerhalb von Stunden von Nachahmern kopiert, teils ein iOS-Update später von Apple selbst. Zum Start des AppStore waren Taschenlampen-Apps, Taschenrechner-Apps, Office-Apps oder Navigations-Apps die wichtigsten Werkzeuge für die Smartphone-Nutzer der ersten Stunde. Wer Glück und eine Idee hatte, konnte selbst mit einer smarten Wecker-App reich werden. Mittlerweile hat Apples mobiles Betriebssystem iOS all diese Funktionen kostenlos integriert. Finanziell erfolgreich sind aktuell vor allem Spiele-Apps. Sie generieren im Jahr zehn des Bestehens über 75 Prozent aller Umsätze im AppStore, da sie das wichtigste Erfolgsrezept zum Geldverdienen perfektioniert haben.

„Freemium“ nennen die Entwickler die Idee, den Nutzer erst mit kostenlosen Inhalten anzufixen und wenig später den Spielverlauf ohne Geldeinsatz zur Tortur zu machen. Nur wer im Spiel mit echtem Geld virtuelle Güter kauft, kann erfolgreich weiterspielen. Unter den zehn umsatzstärksten Apps in Deutschland finden sich sieben Spiele, die mit dem „Freemium“-Modell jeden Monat Millionen Euro generieren, darunter neben „Pokémon Go“ auch Taschengeldgräber wie „Clash Royale“, „Candy Crush Saga“ und „Fortnite“.

„Das Problem der Entwickler ist, die Nutzer an sich zu binden“, kommentiert App-Expertin Ekholm. Zwar hat inzwischen der durchschnittliche Smartphone-Nutzer in Deutschland wie auch in den USA über 100 Apps auf seinem Smartphone installiert. Doch mindestens einmal im Monat genutzt wird nur ein Drittel davon, regelmäßiger sogar nur ein Zehntel. „Die Nutzer haben sich an ihre Lieblings-Apps gewöhnt und stöbern nicht mehr nach Neuem“, weiß Ekholm. Laut einer Gartner-Umfrage gaben Nutzer in den USA wie auch in Westeuropa monatlich für Apps und Inhalte 2017 im Schnitt nur noch knapp 20 Dollar aus – ein Drittel weniger als im Vorjahr. Ausgeglichen wird das durch den App-Boom in China und Indien, wo viele Nutzer gerade erst ihre Lieblings-Apps entdecken. Dort verzeichnet der AppStore dreistellige Zuwachsraten.

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Jenseits von Spielen verdienen aktuell nur diejenigen Anbieter viel Geld, die echte und schwierig zu kopierende Alleinstellungsmerkmale besetzen, die meist aus Netzwerkeffekten resultieren. Die beiden umsatzstärksten Apps im deutschen Markt sind aktuell Netflix und Tinder. Netflix kann mit seinen teuer selbst produzierten Serien die Nutzer binden und verdient so genügend Geld für die Produktion neuer Inhalte. Der Markteintritt für Konkurrenten ist damit schwierig, nur Giganten wie Amazon haben genügend Barmittel, um mitzuhalten.

Tinder profitiert davon, dass sich alle jungen Menschen in der westlichen Welt auf eine Dating-App geeinigt haben. Die Konkurrenz hat wenig Chancen auf einen Markteintritt und beschränkt sich auf das Bedienen von kleineren Nischenzielgruppen. Auch eine weitere deutsche App setzt auf den Netzwerkeffekt. Sie verkauft sich gerade in der Urlaubszeit besonders gut: die Radarwarner-App „Blitzer.de Pro“. Sie funktioniert so gut, da die Nutzer sich gegenseitig vor mobilen Tempokontrollstellen der Polizei warnen. Ihre Nutzung ist je nach Interpretation der Straßenverkehrsordnung jedoch fragwürdig.

Unumstrittener König der App-Welt und das beste Beispiel für Netzwerkeffekte ist der Konzern Facebook. Unter den fünf meistgenutzten Apps finden sich mit WhatsApp, der Facebook-App und Instagram gleich drei Anwendungen aus dem Konzern. Der Chef des sozialen Netzwerks, Mark Zuckerberg, beherrscht meisterlich, erfolgsversprechende App-Ideen mit hohem Einsatz einzukaufen und in sein Imperium zu integrieren. Noch immer ist die Übernahme von WhatsApp zum Preis von knapp 22 Milliarden Dollar im Jahr 2014 die größte Entwickler-Erfolgsstory des App-Booms. 2012 hatte Zuckerberg mit dem Einkauf von Instagram für eine Milliarde Dollar ebenfalls einen Rekord gebrochen. Damals fürchteten Analysten Facebooks Ruin, heute wird Zuckerberg für die nahtlose Assimilation der beiden Start-ups gefeiert.

Doch Facebook ist zugleich auch das beste Beispiel für die „Post-App-Welt“, die Analystin Ekholm postuliert: Wer Facebook mit all seinen Anhängen, Messengern, Foto- und Video-Anwendungen nutzt, muss keine andere App mehr öffnen. Die Nutzer sind komplett innerhalb des Facebook-Universums gebunden, kommunizieren dort, pflegen ihre Fotos online, gucken Videos und lesen Nachrichten.

Andere Apps haben nur dann eine Chance, wenn sie so süchtig machen wie „Pokémon Go“ oder „Clash Royale“ und wenn sie Raser vor Blitzern bewahren. Facebooks Dominanz sorgt für ein Paradox in der Welt der Apps. 7,5 Milliarden Dollar nahm der Konzern 2017 dafür ein, damit er in seinen Mobildiensten für die Installation neuer Apps wirbt. Nur wer aktuell als Entwickler viel Geld dafür ausgibt, die Nutzer im geschlossenen Facebook-Universum zu erreichen und sie dort herauszuholen, hat im AppStore noch eine Chance auf den Hauptgewinn.

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