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EuGH zu Gentechnik-Lebensmitteln Was das Urteil des Gerichtshofs für Verbraucher bedeuten könnte

Gentechnisch veränderte Lebensmittel könnten bald in europäischen Supermärkten stehen, ohne dass Verbraucher sie erkennen. Was bedeutet das? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Siegel "ohne Gentechnik" auf einer Packung Wiener Würstchen in einem Biosupermarkt

Siegel "ohne Gentechnik" auf einer Packung Wiener Würstchen in einem Biosupermarkt

Foto: Gregor Fischer/ picture alliance/dpa

Werden Pflanzen mit moderner Gentechnik verändert, lassen sich manche nicht mehr von Züchtungen unterscheiden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) will am Mittwoch entscheiden, ob solche Pflanzen unter das strenge Gentechnikrecht fallen oder - wie Züchtungen auch - frei angebaut und als Lebensmittel verkauft werden dürfen. Auch im Ökolandbau wären sie nach den gesetzlichen Vorgaben dann erlaubt .

Ausgangspunkt der anstehenden EuGH-Entscheidung war eine Klage mehrerer gentechnikkritischer Lobbygruppen in Frankreich. Sie zweifeln die Einschätzung der dortigen Behörden an, dass die beschriebenen Gentechnikpflanzen wie Züchtungen zu behandeln seien. Das französische Gericht bat schließlich den EuGH um Hilfe.

Worüber genau muss das Gericht nun entscheiden? Wie entstehen die Pflanzen? Und wie gefährlich sind sie für Mensch und Umwelt? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Wann dürfen gentechnisch veränderte Pflanzen in Europa angebaut werden?

In der Europäischen Union (EU) müssen gentechnisch veränderte Pflanzen streng auf ihre Sicherheit für Mensch und Natur geprüft werden, bevor sie aufs Feld kommen. Derzeit sind nur zwei Sorten zugelassen, sie werden aber in Deutschland nicht angebaut.

Auch in deutschen Supermärkten sind keine gentechnisch veränderten Produkte erhältlich. Sie müssen gekennzeichnet werden, sobald sie mehr als 0,9 Prozent gentechnisch veränderter Bestandteile enthalten. Händler gehen davon aus, dass solche Angebote keinen Absatz finden würden.

Wie entstehen die Pflanzen, über die der EuGH nun entscheiden soll?

Das besondere an den neuen Gen-Scheren ist, dass sie DNA mit nie dagewesener Genauigkeit verändern können. Das bekannteste Beispiel ist die Gen-Schere Crispr. Experten sprechen in dem Zusammenhang von Genome-Editing - also von Genom Editierung. Gleichzeitig rufen die Scheren Veränderungen im Erbgut hervor, wie sie auch ganz natürlich auftreten.

Zunächst zerschneidet die Gen-Schere das Erbgut dazu präzise an einer vorgegebenen Stelle. Nun versucht die Zelle den Schaden zu reparieren. Das ist ein natürlicher Mechanismus, der allerdings nicht perfekt funktioniert. So kann es passieren, dass die Zelle an der Bruchstelle eine oder mehrere falsche Basen in den DNA-Strang baut. Diese Schreibfehler reichen aus, um die Funktion ganzer Gene abzuschalten oder zu verändern.

Theoretisch ist es mit den neuen Gen-Scheren auch möglich, fremde Gene in die DNA einzubauen. Um solche Eingriffe geht es in der EuGH-Entscheidung aber nicht.

Werden solche Pflanzen bereits verkauft?

Auf dem Markt ist bislang keine solche Sorte. In Amerika gibt es aber Feldversuche mit einer Sojabohne mit verändertem Ölsäuregehalt und mit Mais mit einer anderen Stärkezusammensetzung. Auch an einer Kartoffel, deren Lagerfähigkeit mit Genome-Editing verbessert wurde, arbeiten Unternehmen.

Wie groß ist der Eingriff ins Erbgut der Pflanzen?

Allein die Schnitte in die DNA klingen für manche Laien nach einem großen Eingriff. Tatsächlich passiert genau das Gleiche aber ganz natürlich jeden Tag unzählige Male auf Feldern, in Gärten und im Wald. So verursachen etwa Sonnenstrahlen ebenfalls DNA-Brüche im Erbgut von Pflanzen. Auch diese versucht die Zelle zu reparieren und hat dabei nicht immer Erfolg. Genau wie beim Genome-Editing entstehen Mutationen, nur dass diese zufällig über das gesamte Erbgut verteilt sind.

Pro Generation verändere sich das Erbgut einer Pflanze so natürlicherweise an 150 bis 200 Stellen, erklärt Goetz Hensel vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben in Sachsen-Anhalt, der selbst mit der Technik arbeitet. Der Vorgang ist die Grundlage für Evolution.

Was ist der Unterschied zur Pflanzenzüchtung?

Züchter machen sich das gleiche Prinzip zunutze wie Pflanzengentechniker und die Natur. Sie erzeugen die DNA-Veränderungen mitunter verstärkt, indem sie Pflanzen mit Chemikalien oder Röntgenstrahlen behandeln. Das Zuchtprozedere ist allerdings aufwendig.

Züchter können nicht bestimmen, an welcher Stelle etwa Röntgenstrahlung die DNA schneiden sollen und müssen herumprobieren, bis eine Pflanze mit den gewünschten Eigenschaften per Zufall entsteht. Die Entwicklung einer neuen Pflanzensorte dauert so acht bis zehn Jahre. "Dreitausend so gezüchtete Sorten sind bereits im Anbau und täglichen Verzehr", sagt Hensel.

Können Experten Genom-editierte Pflanzen von Züchtungen unterscheiden?

Das Ergebnis der Genschnitte ist beim Genome-Editing, in der Natur und bei der Züchtung das Gleiche.

Eine unabhängige Kontrollstelle könnte Crispr-Pflanzen nur von Züchtungen unterscheiden, wenn sie das Erbgut der Ausgangspflanze genau kennt und die Züchtung mithilfe von Strahlung oder Chemikalien erzeugt wurde. In der Züchtung wären dann im Vergleich zur Ausgangspflanze deutlich mehr Mutationen zu finden als im Genom-editierten Exemplar.

Würde die Prüfstelle jedoch ohne Vorkenntnis eine Stichprobe auf einem Feld machen, könnte sie nicht erkennen, welche Pflanze wie entstanden ist.

Wie wird der EuGH entscheiden?

Experten gehen davon aus, dass der EuGH Genom-editierte Pflanzen, die sich nicht von Züchtungen unterscheiden, als nicht gentechnisch verändert einstufen wird. Entscheidend dafür ist die EU-Richtlinie für gentechnisch veränderte Organismen (GVO). Laut ihr zählt eine Pflanze nur als GVO, wenn ihr genetisches Material so verändert worden ist, wie es auf natürliche Weise nicht möglich ist.

Bei den nun diskutierten Pflanzen ist genau das Gegenteil der Fall: Ihr genetisches Material wird so verändert, wie es auch auf natürliche Weise möglich ist.

Ist es gefährlich, die gentechnisch veränderten Pflanzen anzubauen und zu essen?

Gentechnikgegner warnen vor unvorhersehbaren Risiken und berufen sich auf das Vorsorgeprinzip, nach dem Schäden für die Umwelt im Voraus vermieden werden sollen.

Wissenschaftler argumentieren dagegen, dass nach dieser Interpretation des Vorsorgeprinzips auch Zuchtpflanzen nicht ohne Weiteres angebaut und gegessen werden dürften. In ihnen finden mitunter deutlich mehr Mutationen statt, noch dazu völlig unkontrolliert. "Aus meiner Sicht haben die neuen Methoden keine anderen Risiken als herkömmliche Züchtungsmethoden", sagt Hensel.

Auch der Generalanwalt des EuGH, Michal Bobek, hat in seinem Schlussantrag  Probleme mit dem Verweis der Kritiker auf das Vorsorgeprinzip: Demnach reicht eine "rein hypothetische Betrachtung des Risikos, die auf bloße, wissenschaftlich noch nicht verifizierte Vermutungen gestützt wird" nicht aus für ein Verbot.

Es müsse stattdessen konkrete Hinweise auf Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt geben. Die sehen Bobek und anerkannte Wissenschaftsorganisation nicht. Verbraucher müssten sich im Zusammenhang mit dem Urteil also keine Sorgen um Gesundheit und Natur machen.

Gibt es dann bald Patente auf neue Pflanzensorten in Europa?

Unabhängig von Sicherheitsrisiken warnen Gentechnikgegner auch davor, Firmen könnten Patente auf Nutzpflanzen anmelden und die Samen dann teuer an Bauern verkaufen. Drei wichtige Fakten werden dabei allerdings selten klar kommuniziert:

  • Pflanzensorten können in Deutschland nicht patentiert werden.
  • Stattdessen fallen neue Sorten unter die Vorschriften des Sortenrechts. Eine als Sorte registrierte Pflanze dürfen andere Züchter gegen eine Lizenzgebühr anbauen und auch neue Sorten aus ihnen züchten und verkaufen.
  • Das Sortenrecht gilt für alle Pflanzensorten, egal ob mit Gentechnik oder durch Züchtung erzeugt. Durch das EuGH-Urteil ändert sich daran nichts.

"Für die Sortenprüfung ist relevant, wie sich die Sorte entwickelt, wenn sie angebaut wird. Der Weg der Züchtung - also ob klassisch oder mit anderen Methoden - beeinflusst die Sortenprüfung an sich nicht", sagt Nora Quett vom Bundessortenamt. "Würde die Bundesregierung entscheiden, dass manche mit Genom Editierung erzeugten Pflanzen in Deutschland nicht unter das Gentechnikrecht fallen, würden wir diese genauso behandeln und zulassen wie klassische Züchtungen."

Im Gegensatz dazu dürfen die Verfahren, mit denen sich neue Pflanzensorten herstellen lassen, patentiert werden. Dazu gehören beispielsweise die neuen Gen-Scheren. Auch bestimmte Gene, die beispielsweise für eine Krankheitsresistenz verantwortlich sind und in mehrere Sorten eingebaut werden können, lassen sich patentieren.

Wer ein Patent hält, darf seine Erfindung 20 Jahre lang exklusiv nutzen oder sie anderen gegen eine Lizenzgebühr zur Verfügung stellen. Dabei handelt es sich stets um einen Balanceakt zwischen dem Interesse der Allgemeinheit, die Erfindung zu nutzen und dem Schutz des geistigen Eigentums des Entwicklers.

Ein Patent bedeutet nicht immer, dass allein der Patenthalter profitiert. So ist etwa die Gen-Schere Crispr trotz mehrerer Patente in diversen Ausführungen kostengünstig zu haben und findet breite Anwendung in Laboren weltweit.

Für patentgeschütztes Pflanzenmaterial - wie etwa bestimmte Gene - wurde laut dem Bundesverband der Deutschen Pflanzenzüchter (BDP)  die Möglichkeit zum Nachbau durch Landwirte eingeführt. Sie dürfen Samen von patentgeschützen Pflanzen, ähnlich wie im Sortenrecht, gegen eine Zahlung an den Patenthalter nutzen.

Was würde ein EuGH-Urteil für die Gentechnik für kleine Zuchtbetriebe bedeuten?

Einige Experten gehen deshalb davon aus, dass die Anwendung von Gen-Scheren in der Pflanzenzucht kleinen Unternehmen sogar nutzen würde. Im Gegensatz zu großen Konzernen, könnten sie sich die aufwendige, jahrelange klassische Züchtung nicht so einfach leisten, so die Argumentation. "Dabei gibt es die neue Technologie her, dass sich auch die kleinen Züchter wieder an der Entwicklung neuer Sorten beteiligen", so der Pflanzengenetiker Hensel.

Auch der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter (BDP) spricht sich dafür aus , Pflanzen nicht allein anhand der Methoden zu bewerten, mit der sie hergestellt wurden, sondern auch aufgrund ihrer Eigenschaften. Neben großen Firmen wie Bayer und Syngenta vertritt der Verein hauptsächlich mittelständische Unternehmen. Insgesamt sind ungefähr 130 Firmen beim BDP organisiert.

Sollte der EuGH die beschriebenen Pflanzen am Mittwoch für den Anbau und Verzehr in der EU freigeben, hat Deutschland die Möglichkeit, eigene Verbotsgesetze zu erlassen.

Mit Material von AFP