Politik

"Schneller auf Youtube als im OP" Gaffer sollen härter bestraft werden

Eltern erfahren vom Unfalltod ihres Kindes aus dem Internet - nur nicht von der Polizei, denn Gaffer teilen blitzschnell Fotos und Videos von Unglücksfällen. Ein neues Gesetz soll aufdringliche Schaulustige bestrafen - auch mit Gefängnis.

Eine Frau liegt in der Mainzer Innenstadt auf dem Boden, eine Straßenbahn hat ihr das Bein abgetrennt. Schaulustige strömen herbei, zücken ihre Smartphones und halten ungeniert drauf. "Die Menschen mussten richtig zur Seite gedrängt werden, weil sie die Rettungskräfte behindert haben", beschreibt Achim Hansen vom Polizeipräsidium Mainz das Geschehen. "Die Frau war schneller auf Youtube als auf dem OP-Tisch."

Mit Sichtschutzwänden sollen Gaffer abgehalten werden - nicht immer gelingt das.

Mit Sichtschutzwänden sollen Gaffer abgehalten werden - nicht immer gelingt das.

(Foto: dpa)

Solche Szenen voller Rücksichtslosigkeit bereiten derzeit Polizisten, Notärzten und Feuerwehrleuten in ganz Deutschland Kopfzerbrechen. "Es gibt ein neues Denken. Die Menschen schauen nicht nur für ihre eigene Neugier, sondern sie nehmen Fotos und Videos auf, um zum Geschichtenerzähler zu werden - auf Kosten der Opfer", sagt Oliver Malchow, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Dabei gehe es bei schweren Verkehrsunfällen oft um Leben und Tod.

Die Politik versucht den sogenannten Gaffern mit einem schärferen Gesetz beizukommen. Niedersachsen und Berlin haben eine entsprechende Gesetzesinitiativedazu in den Bundesrat eingebracht, die nun weiter beraten wird. "Wir tun dies im Interesse der Opfer", begründete der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius von der SPD den Vorstoß. Der bisherige strafrechtliche Schutz gegen solches Verhalten sei lückenhaft, da dieser nur lebende Personen schütze. Wer Feuerwehr, Katastrophenschutz oder Rettungsdienst bei Unglücksfällen behindert, dem sollen eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe drohen. Künftig solle auch das Herstellen und Verbreiten von bloßstellenden Bildern verstorbener Personen unter Strafe stehen. Außerdem sollen Polizisten die Möglichkeit haben, Schaulustigen die Handys wegzunehmen.

"Gipfel der Skrupellosigkeit"

Einige Polizisten haben inzwischen keine Lust mehr, die Bevölkerung nur immer wieder sanft zu ermahnen. Sie stellen sie bei Facebook und Twitter an den Pranger. "Schämt Euch, Ihr Gaffer", schrieb etwa die Polizei Hagen nach einem Unfall, als ein kleines Mädchen angefahren wurde. "Polizisten in der Absperrung habt ihr gefragt, ob sie mal an die Seite gehen können, damit ihr besser filmen könnt. Unfassbar!" Die Schaulustigen hätten sogar über die weißen Tücher geschaut, welche die Feuerwehr zum Schutz des Mädchens aufspannte. "Das ist wirklich der Gipfel der Skrupellosigkeit."

"Wer Feuerwehreinsätze behindert, ist an Dummheit nicht mehr zu übertreffen", schreibt Hartmut Ziebs, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes, auf seiner Facebook-Seite. Richtig wütend machen ihn Vorfälle wie in Bautzen, als eine grölende Menge einen Feuerwehreinsatz an einem Flüchtlingsheim behinderte. Er möchte mit seinen Aussagen die Menschen bei der Ehre packen, sagt er: "Denn niemand lässt sich durch ein schärferes Gesetz davon abhalten zu gaffen."

Er könne die Empörung nachvollziehen, sagt der Kommunikationswissenschaftler Oliver Quiring von der Johannes Gutenberg-Universität in Mainz. "Aber das ist nicht die Sachlichkeit, die ich von der Polizei erwarte." Er hoffe allerdings, dass die emotionalen Nachrichten dazu führen, dass die Gaffer ihr Verhalten peinlich finden - und vielleicht unterlassen. Auch könne es der Polizei dabei helfen, mehr Rückhalt in der Bevölkerung zu finden.

Mehr Personal am Unfallort nötig

Als ein 85 Jahre alter Fahrradfahrer in Rheinland-Pfalz starb, während zahlreiche Menschen filmten, fragte die Polizei von Mainz an die Adresse der Gaffer: "Habt Ihr wirklich nichts anderes im Kopf?" Polizeisprecher Hansen meint, mit diesem Eintrag hätten sie allein bei Twitter 1,3 Millionen Nutzer erreicht. Die Rückmeldungen auf Facebook seien fast überwiegend positiv gewesen. "Ich gehe stark davon aus, dass wir so etwas wieder machen", sagt er.

Zwangsläufig sind oft auch die Polizisten selbst auf den Bildern und Videos zu sehen. "Da wird man als Person gefilmt. Damit muss man erstmal klar kommen", sagt Jürgen Stadter, Polizeioberkommissar Bayreuth-Stadt. In Achern in Baden-Württemberg machte jüngst ein Autofahrer nicht für einen Rettungswagen Platz. Als die Ärztin ausstieg und zu dem Fahrer ging, versuchte dieser, sie zu schlagen.

Polizei und Rettungskräfte würden immer häufiger in ihrer Arbeit behindert, sagt GdP-Chef Malchow. "Wir merken jetzt schon, dass wir mehr Personal am Unfallort brauchen, um den Bereich abzusichern, damit die Kollegen, die eigentlich den Unfall aufnehmen, ungestört arbeiten können." Da bliebe keine Zeit mehr dafür, die Kennzeichen der Autofahrer aufzuschreiben, die extra langsam vorbeifahren, um Handyvideos zu machen.

Alex Talash ist dauernd an Unfallorten, für den Blaulichtreport Hagen verkauft er Fotos und Videos an TV-Sender und Zeitungen. "Wir warten mit der Information, bis die Angehörigen eines Unfallopfers verständigt sind", sagt er. Andere jedoch laden innerhalb von Sekunden Videos hoch. Einmal, sagt Talash, hätten Eltern den tödlichen Unfall ihres Kindes auf Facebook gesehen, ehe die Polizei vor der Tür stand. Ein anderes Mal war Talash zugegen, als die Polizei wegen der vielen Gaffer einen Hund einsetzen musste. Zahlreiche Schaulustige hätten in das Auto hineinfotografieren wollen, das sich überschlagen hatte, sagt er. "Zufällig war ein Hundeführer am Unfallort. Der Polizeihund war nötig, um die Menschen zurückzuhalten. Worte reichten nicht aus."

Quelle: ntv.de, Doreen Fiedler, dpa

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