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Politik

Sie hat den Kanal voll

Sieglinde Baumert weigert sich, für ARD und ZDF zu zahlen – wie viele. Aber sie ist die Erste, die dafür ins Gefängnis gegangen ist. Dort stößt sie auf Bewunderung

Ihr aktuelles Zimmer: spartanisch, Blick auf den Hof. Bett, Schreibtisch, kleines Radio mit Uhr. Keiner verlangt von ihr dafür Rundfunkgebühren. Denn Sieglinde Baumert ist vom Beitrag befreit, seit 4. Februar 2016. An diesem Tag wurde die 46-Jährige aus dem thüringischen Geisa verhaftet und sitzt seither in Erzwingungshaft im Frauengefängnis der JVA Chemnitz, weil sie sich beharrlich weigert, ihre Haushaltsabgabe für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu leisten.

Die Sender wissen, wie bockig der Bürger ist. „4,5 Millionen Beitragskonten waren am Stichtag 31.12.2014 in Mahnverfahren oder Vollstreckung“, sagt Christian Greuel, Sprecher der Beitragskommunikation von ARD/ZDF/Deutschlandradio. Wie viele Beitragsverweigerer seien, würde aus Datenschutzgründen nicht erfasst. Nur einen Menschen hat die Verweigerung bis in die Zelle getrieben: Sieglinde Baumert.

Eine vom Gerichtsvollzieher geforderte Vermögensaufstellung hatte sie nicht unterzeichnet: „Mit meiner Unterschrift würde ich die Rechtmäßigkeit der Zwangsgebühren bestätigen. Das will ich nicht. Ich kann nicht verantworten, dass ich diesen Rundfunk mitfinanziere.“ Haft als Streik also. Kurios nur: Ihre Zelle fällt für ARD und ZDF unter Gemeinschaftsunterkünfte – und die sind beitragsfrei. „Im Gefängnis könnte ich den ganzen Tag umsonst fernsehen“, spottet Sieglinde Baumert. Der Weg von Sieglinde Baumert sei „der falsche“, findet Rechtsanwalt Sascha Giller von der Jenaer Kanzlei PWB.

Er führt mit Kollegen gerade eine Klage gegen die Haushaltsabgabe, nachdem das Bundesverwaltungsgericht diese Ende Februar für rechtens erklärte. Nun soll das Bundesverfassungsgericht klären, ob der derzeitige Beitragseinzug einen Eingriff in die Grundrechte der Bürger darstellt. Giller sieht es so: Die Handlungsfreiheit sei beeinträchtigt, der Gleichheitsgrundsatz verletzt. Es müsse „zudem geklärt werden, ob der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch die Grundversorgung abdeckt oder mit seinen Angeboten weit darüber hinaus geht. Denn nur die Grundversorgung ist gesetzlich geschützt.“

Giller berät viele, die gegen die Zwangszahlungen sind. Er rät allen: „Erst einmal zahlen, wenn auch unter Vorbehalt. Ein Widerstand gegen Vollstreckungsmaßnahmen ist im Grunde zwecklos.“ Auch Widerspruch gegen Zahlungsforderungen habe keine aufschiebende Wirkung. „In Internetforen kursieren viele Falschinformationen, bei denen ich als Jurist schmunzeln muss. Die Grenzen des Rechtsstaates müssen schon eingehalten werden.“

Sieglinde Baumert hat das nicht. „Ich habe seit 2013 nicht mehr gezahlt“, sagt sie. Anfangs ging es um 190 Euro, die der Beitragsservice eintreiben wollte. Gerichtsvollzieher und Pfändungen versuchten sich lange erfolglos an ihr. „Ich habe nie Einspruch erhoben, Schreiben ignoriert, ich wollte dagegen von der Justiz die Rechtmäßigkeit des Gebühreneinzuges erklärt bekommen. Ich ließ alles auf mich zukommen.“

Am 4. Februar traf der Gerichtsvollzieher sie dann an. Gegen 10.30 Uhr erschien er mit der Polizei im Metallbetrieb, in dem Baumert, Brüchen in ihrer Biografie geschuldet, einen Hilfsarbeiterjob ausübte. „Ich habe gerade Platinen bestückt, als der Anruf kam, ich solle ins Hauptgebäude kommen. Dort stand der Gerichtsvollzieher mit zwei Polizisten und hat mich gefragt, ob ich jetzt bereit wäre, eine Vermögensauskunft abzugeben. Als ich das erneut verweigerte, ging es ab zur Polizeiwache Bad Salzungen, von dort direkt in die Haftanstalt. Ohne Handschellen, trotzdem gab es perplexe und schockierte Gesichter.“ Nach der Verhaftung am Arbeitsplatz erhielt sie die Kündigung.

Sieglinde Baumert wirkt nicht bedrückt, die Erzwingungshaft, so scheint es, sieht sie auch als Selbsterfahrung. Wird die Einzelzelle nach Ausgabe der Kaltverpflegung um 16 Uhr geschlossen, tut sie, was sie am liebsten tut: lesen. Sie bekommt viel Post von Unterstützern. Auslöser für ihren Protest war die von Gebührengegnern gern zitierte Doktorarbeit mit dem Titel „Reform der Rundfunkfinanzierung in Deutschland“. Sie habe dargelegt, dass das derzeitige System verfassungswidrig ist, interpretiert Sieglinde Baumert die Arbeit. Da habe sie sich gedacht, wenn das verfassungswidrig ist, wird es gekippt. Und nicht mehr gezahlt.

Wenn Sieglinde Baumert beim Hofgang um 8.15 Uhr die anderen Gefangenen trifft, wird sie an ihr Privileg erinnert: „Die sagen: Wenn ich nur wegen einer Unterschrift hier wäre, dann wäre ich längst draußen. Aber Hut ab, dass du es machst.“ Sieglinde Baumert sagt, sie fühle sich bevormundet, wofür sie ihr Geld ausgebe. Und die erzwungenen Einnahmen würden rausgeschmissen ohne Ende. „Mit Fußball kann ich zum Beispiel gar nichts anfangen. Wenn ich dann lese: Eine Minute ‚Sportschau‘ kostet 40.000 Euro, da frage ich mich, warum ich dafür nur einen Cent investieren soll“, sagt Sieglinde Baumert.

Demnächst hat sie noch mehr Grund, sich aufzuregen: Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten erwägt, ab 2021 die Rundfunkbeiträge auf über 19 Euro zu erhöhen. Das bestätigte ein Kommissionsmitglied dieser Zeitung. Sieglinde Baumert hat daheim weder Fernseher noch Radio. „Meine Informationsquelle ist das Internet.“ Das sei „vielseitig und umfassend“, anders als ARD und ZDF. Nach sechs Monaten muss sie entlassen werden. Der nächste Haftantritt wäre dann nach zwei Jahren möglich.

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