Zum Inhalt springen

Bundeswehr Tests bestätigen mangelnde Treffsicherheit des G36

Seit Monaten gibt es Zweifel am Standardgewehr der Bundeswehr. Jetzt haben technische Prüfungen nachgewiesen, dass das G36 ungenau wird, wenn es heiß geschossen ist. Ministerin von der Leyen ist alarmiert.
Schießübung mit dem G36: Grundausstattung der Bundeswehr

Schießübung mit dem G36: Grundausstattung der Bundeswehr

Foto:

Bernd Settnik/ picture alliance / dpa

Die Bundeswehr hat erstmals erhebliche Probleme mit ihrem Standardgewehr eingeräumt. Am Montagmittag äußerte sich überraschend das Verteidigungsministerium. Neue Tests mit dem G36 hätten deutliche Abweichungen bei der Präzision aufgezeigt, wenn das Gewehr heiß geschossen oder durch klimatische Bedingungen stark erwärmt ist.

Damit wurden erstmals jahrelange Zweifel bestätigt. Sowohl der Wehrbeauftragte als auch der Bundesrechnungshof hatten entsprechende Mängel angeprangert. Das Ministerium und die deutsche Waffenschmiede Heckler und Koch spielten die Probleme jedoch stets herunter.

Die Untersuchungen führten das Ernst-Mach-Institut in Freiburg, die Wehrtechnische Dienststelle für Waffen und Munition 91 (WTD 91) in Meppen und das Wehrwissenschaftliche Institut für Werk- und Betriebsstoffe durch. Die Ergebnisse sind mehr als heikel. Als Ministerin Ursula von der Leyen am vergangenen Freitag darüber unterrichtet wurde, ordnete sie für Sonntag eine Sitzung des militärischen Führungsrats an.

Das Top-Gremium besteht aus dem Generalinspekteur der Bundeswehr und allen Chefs der Teilstreitkräfte - sozusagen der Kern der Bundeswehrführung. Die Krisenrunde beriet hektisch das weitere Vorgehen.

Die Untersuchungsergebnisse könnten schwerwiegende Folgen haben, schließlich geht es um die Waffe, mit der alle Bundeswehrsoldaten standardmäßig ausgerüstet sind und in den Einsatz ziehen. Von der Leyen kündigte nach der Runde vom Sonntag an, der Generalinspekteur solle noch diese Woche eine Weisung mit "kurzfristigen vorsorglichen Konsequenzen" an alle Truppenteile senden.

Vor allem für die Auslandseinsätze in Mali, am Horn von Afrika und in Afghanistan dürfte die Weisung entscheidend sein, da hier zumindest theoretisch Feuergefechte drohen und die Außentemperaturen sehr hoch sein können. Schon in der Vergangenheit hatte die Truppe für die Auslandseinsätze einen sogenannten Waffen-Mix angeordnet, um auf den Fall des Falles vorbereitet zu sein.

Von der Leyen wollte nun auch eine Änderung der Basisausrüstung nicht mehr ausschließen. Zwar warte man noch den Abschlussbericht der Prüfer ab, so die Ministerin, die Ergebnisse aber gingen alle "in eine eindeutige Richtung".

Nach den Tests müsse überlegt werden, "ob und inwieweit die Truppe auf mittlere Sicht mit einem anderen Sturmgewehr ausgerüstet werden muss", sagte von der Leyen. Seit 1996 hat die Bundeswehr knapp 180.000 G36 von Heckler und Koch gekauft.

Bis zu einem halben Meter neben dem Ziel

Die jetzt nachgewiesenen Abweichungen beim sogenannten Trefferfeld waren besonders im Afghanistan-Einsatz aufgefallen. Denn dort waren die Bundeswehrsoldaten in den vergangenen Jahren immer wieder in lange Feuergefechte verwickelt worden. Jahrelang spielte das Ministerium die teils dramatischen Berichte herunter. Das G36 sei eben nicht für Dauerfeuer in einem Gefecht ausgelegt.

Die Untersuchungen aus den vergangenen Jahren füllen mehrere Aktenmeter. Im Kern kam dabei heraus, dass die aus einem Verbundstoff bestehende Ummantelung des Gewehrlaufs die Ursache der Treffabweichung sein muss. Dem Test zufolge erwärmt sich die Ummantelung bei Dauerfeuer so stark, dass sie aufweicht und der Gewehrlauf nicht mehr fest eingebunden ist.

In der Folge entstehen die beschriebenen Abweichungen im Trefferbild. Teilweise schlugen die Kugeln bei den Tests bis zu 50 Zentimeter entfernt vom angepeilten Ziel ein. SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE hatten mehrfach darüber berichtet.

Ministerin von der Leyen hatte die neue Untersuchung vergangenes Jahr in Auftrag gegeben und vorerst den weiteren Ankauf von G36-Gewehren gestoppt. Die dramatischen Ergebnisse bedeuten laut Ministerium für Bundeswehrsoldaten tatsächlich eine Einschränkung bei Gefechten. Es sei jedoch hilfreich, dass man nun zumindest ein klares Bild habe, so von der Leyen.

Ausdrücklich dankte sie dem Wehrbeauftragten, der für sein unnachgiebiges Mahnen in Sachen G36 auch viel Kritik einstecken musste. Die Ministerin sagte nun, er habe "hartnäckig zur Aufklärung beigetragen".

Von der Opposition kam trotzdem Kritik am Wehrressort. Die grüne Verteidigungsfachfrau Agnieszka Brugger, die ebenfalls unermüdlich zum Thema G36 recherchiert hatte, sprach von "jahrelanger Verschleierung". Der Vorgang stehe "exemplarisch dafür, wie Probleme schöngeredet werden, bis es nicht mehr anders geht", sagte Brugger SPIEGEL ONLINE, "diese grundsätzliche Einstellung muss sich ändern".

Zusammengefasst: Das Sturmgewehr G36 der Bundeswehr ist nicht treffsicher. Das haben Tests ergeben, die das Verteidigungsministerium in Auftrag gegeben hat. Die Kugeln schlagen bis zu 50 Zentimeter neben dem angepeilten Ziel ein. Im Ministerium denkt man nun darüber nach, die Bundeswehr mittelfristig mit einem anderen Sturmgewehr auszustatten.