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Prism-Einsatz in Afghanistan Verteidigungsministerium widerspricht BND

Die Affäre um das US-Spähprogramm Prism wird immer grotesker: Ein Schreiben aus dem Verteidigungsministerium legt nahe, dass ein in Afghanistan eingesetztes Software-Tool doch identisch mit dem US-Programm ist. Damit widerspricht das Ministerium Aussagen von BND und der Bundesregierung.
Bundeswehrsoldat bei Masar-i-Scharif: Anfragen an US-Programm Prism

Bundeswehrsoldat bei Masar-i-Scharif: Anfragen an US-Programm Prism

Foto: Maurizio Gambarini/ dpa

Berlin - Die Affäre um die Abhöraktivitäten des US-Geheimdienstes NSA nimmt eine weitere überraschende Wendung. Nachdem die "Bild"-Zeitung am Mittwoch berichtet hatte, dass die USA das umstrittene Daten-Tool Prism offenbar auch in Afghanistan einsetzen und die Bundeswehr von dem Programm spätestens im Herbst 2011 wusste, widerspricht nun das Verteidigungsministerium der Darstellung des Bundesnachrichtendiensts (BND) über den Zeitungsbericht.

Am Mittwoch hatte Regierungssprecher Steffen Seibert im Namen des BND erklärt, bei der in Afghanistan eingesetzten Software handele es sich "um ein Nato/Isaf-Programm, das nicht identisch ist mit dem Prism-Programm der NSA". Seibert, der sich die Aussagen des BND nicht zu eigen machen wollte, ergänzte, die Programme seien "nicht identisch". Demnach gebe es das vieldiskutierte Programm Prism, mit dem offenbar in den letzten Jahren auch intensiv deutsche Kommunikation abgehört worden sei, und das Isaf-Programm für Afghanistan.

Dieser Darstellung widerspricht nun das Wehrressort. In einem zweiseitigen Sachstandsbericht von Staatssekretär Rüdiger Wolf vom Donnerstag heißt es, das in Afghanistan eingesetzte Programm Prism sei ein "computergestütztes US-Planungs- und Informationsauswertungswerkzeug" zur Koordinierung "amerikanischer Aufklärungssysteme", das "ausschließlich von US-Personal bedient" und "Afghanistan-weit von US-Seite genutzt wird".

Bundeswehr ohne Zugriff auf das Programm

Detailliert beschreibt Wolf, dass die Bundeswehr und die Nato keinen Zugriff auf das US-Programm haben. Zwar gebe es im deutschen Lager in Masar-i-Scharif vielleicht entsprechende Terminals, diese seien aber nur für Amerikaner zugänglich.

Die Bundeswehr hingegen müsse dem fast ausschließlich von der US-Armee kontrollierten IJC-Kommandozentrum in Kabul ein bestimmtes Formblatt senden, wenn man über die Nato-Geheimdienstinformationen hinaus auch auf US-Erkenntnisse zugreifen wolle. Komme etwas zurück, sei die "Herkunft der Informationen" für die Deutschen "grundsätzlich nicht erkennbar".

Genau diese Vorgehensweise hatte die "Bild"-Zeitung in ihrem Bericht unter Berufung auf einen geheimen Nato-Befehl aus dem September geschildert. In dem Papier wurden die Nato-Nationen und auch das von Deutschland geführte Regionalkommando Nord aufgefordert, mögliche Anfragen an das System Prism direkt bei amerikanischem Personal zu stellen, da die Nato keinen Zugriff auf das System hat. Schon durch den Befehl selbst, von der "Bild"-Zeitung im Faksimile abgedruckt, erschien die BND-Darstellung vom Mittwoch merkwürdig.

Für sein Haus gesteht Wolf nun ein, dass die Deutschen über das Programm Prism in Afghanistan nicht viel wissen. So sei unklar, wie das von der US-Armee dominierte Hauptquartier in Kabul Prism einsetze, der "Umfang der Nutzung" sei dem Ministerium nicht bekannt. Wolf unterstrich allerdings erneut, dass alle aus Geheimdienstquellen gewonnenen Informationen dem Schutz deutscher Soldaten dienten - ausdrücklich "auch die von der US-Seite bereitgestellten Erkenntnisse, die auch aus Prism stammen könnten".

Für den BND ein Schlag ins Gesicht

Auch in der Abgrenzung zum Lauschprogramm Prism, das der Ex-NSA-Angestellte Edward Snowden aufdeckte und mit dem systematisch auch deutsche Kommunikation abgehört worden sein soll, gibt sich das Wehrressort im Gegensatz zum BND sehr vorsichtig. So sehe man aufgrund der gelieferten Informationen der USA, die ausschließlich das Lagebild in Afghanistan betroffen hätten und "keine Datenausforschung" deutscher Staatsangehöriger beträfen, "keine Nähe" zu den Ausspähprogrammen der NSA in Deutschland oder Europa.

Mit der vorsichtigen Formulierung schließt Wolf bewusst nicht aus, dass die beiden Programme identisch sind.

Für den BND ist die Darstellung, die Ministeriumssprecher Stefan Paris ansatzweise schon am Mittwoch nach den Erklärungen des BND ausbreitete, ein Schlag ins Gesicht. Schon kurz nach der Pressekonferenz von Seibert hatten sich Insider gewundert, warum der Geheimdienst sich so klar festlegt, das Programm in Afghanistan gehöre zum Isaf-Systemverbund. Die Aussage blieb jedoch stehen, obwohl Paris zum Beispiel klar sagte, dass Prism in Afghanistan ausschließlich von Amerikanern bedient wird.

Von der Opposition wurde der BND für seine Erklärung massiv angegriffen. "Das Kanzleramt hat im Namen des BND am Mittwoch die Öffentlichkeit gezielt belogen", sagte der Grünen-Verteidigungsexperte Omid Nouripour SPIEGEL ONLINE. Mit dem Schreiben von Wolf sei klar, dass es kein Nato-Programm Prism gebe. Statt immer neuer Ausflüchte, so Nouripour, solle die Regierung endlich anfangen, den Abhörskandal seriös aufzuklären.