Brain-Computer-Interface

Hirn an Computer: Bitte kommen!

03.08.2022
Von 
Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Das Unternehmen Synchron hat eine Hirn-Computer-Schnittstelle entwickelt, die sich über die Blutbahn ins Gehirn einschleusen lassen soll. Derzeit wird die Neuroprothese an Patienten in den USA ausprobiert.
Rund 86 Milliarden Neuronen werkeln im menschlichen Gehirn. Mit implantierten Elektroden wollen Forscher dem Geheimnis auf die Spur kommen, wie das Hirn im Ganzen funktioniert, wie es reparieren und möglicherweise optimieren lässt.
Rund 86 Milliarden Neuronen werkeln im menschlichen Gehirn. Mit implantierten Elektroden wollen Forscher dem Geheimnis auf die Spur kommen, wie das Hirn im Ganzen funktioniert, wie es reparieren und möglicherweise optimieren lässt.
Foto: vitstudio - www.shutterstock.com

Es hört sich an wie Science Fiction - einen Computer über seine Gedanken steuern oder ein Hirn-Implantat, das die eigene Intelligenz steigert. Seit vielen Jahren träumen Wissenschaftler davon, das menschliche Gehirn mit Computern zu verbinden. Nun scheint das Unternehmen Synchron einen großen Schritt weitergekommen zu sein. Ein Brain -Computer Interface (BCI) befindet sich derzeit in den USA in der klinischen Erprobung an menschlichen Patienten.

Dafür hat Synchron ein Gerät namens "Stentrode" entwickelt. Dabei handelt es sich um ein flexibles Elektrodengeflecht aus einer Legierung namens Nitinol. Stentrode wird über die Jugularvene in den "Sinus Superior Sagittalis" ins Gehirn eingeführt. Die Jugularvenen transportieren verbrauchtes Blut aus dem Gehirn zurück zum Herz, um es erneut mit Sauerstoff anzureichern. Der Sinus Superior Sigittalis ist ein zentraler venöser Blutleiter im Hirn der bogenförmig an der Oberseite des Schädels zwischen den beiden Hirnhälften verläuft.

Der Vorteil dieses Verfahrens: Es sind keine Operationen notwendig, um den menschlichen Schädel zu öffnen und Elektroden oder Sensoren im Hirn zu platzieren. Über die Venen lässt sich Stentrode minimalinvasiv ins Gehirn einschleusen. Das Geflecht legt sich an die Innenwände der Venen an - ähnlich wie ein Stent, um Gefäße für einen besseren Blutdurchfluss zu stabilisieren. So wird der Blutfluss nicht gestört und Ärzte könnten das Gerät an beliebige Stellen im Gehirn manövrieren. Durch die Wand der Blutgefäße kann Stentrode neuronale Signale empfangen und senden.

Lebensqualität soll besser werden

In Kombination mit der Neuroprothese brain.io von Synchron werden die Signale der Stentrode drahtlos an eine Computerschnittstelle übertragen, die die Steuerung über ein Smartphone, ein Tablet oder einen Computer ermöglicht, erklären die Forscher. Das Ziel der Wissenschaftler: Die Kommunikation vereinfachen und so die Lebensqualität von Patienten mit schweren Lähmungen verbessern.

Erste Tests mit Patienten in Australien seien vielversprechend verlaufen, sagen die Synchron-Verantwortlichen. Bis dato seien keine Nebenwirkungen aufgetreten. Nach der Implantation und dem Training hätten die Patienten durch Hirnsteuerung zum Beispiel Whatsapp-Nachrichten verschicken und Online-Einkäufe tätigen können, hieß es.

Auch das US-Militär bleibt interessiert

Nach der Genehmigung der US-amerikanischen Gesundheitsbehörden sei am 6. Juli 2022 einem ersten Patient in den USA eine Stentrode ins Hirn eingepflanzt worden. Mit einer Reihe von Ja- oder Nein-Signalen, die über dieses Gerät übertragen werden, ermöglicht eine App die Texteingabe und die Steuerung eines Mobilgeräts oder Computers.

Synchron arbeitet seit 2012 an seinem Brain Computer Interface. Das Projekt wurde an der University of Melbourne in Australien gestartet und von der U.S. Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) und dem US-Verteidigungsministerium unterstützt. Mittlerweile hat Synchron sein Hauptquartier in New York aufgeschlagen. Das Projekt wird unter anderem von Khosla Ventures finanziert, aber auch die US-amerikanische und die australische Regierung haben ihre Finger im Spiel.

Tesla-Chef Elon Musk will über ein Gehirn-Computer-Interface künstliche Intelligenz unter Kontrolle halten.
Tesla-Chef Elon Musk will über ein Gehirn-Computer-Interface künstliche Intelligenz unter Kontrolle halten.
Foto: Naresh777 - shutterstock.com

Synchron ist nicht das einzige Unternehmen, das an Hirn-Computer-Schnittstellen forscht. Auch das 2016 von Tesla-Chef Elon Musk und acht weiteren Investoren gegründete Neuralink hat eine Art Hirnelektrode entwickelt. "The Link" muss allerdings per Operation an einer bestimmten Stelle im Gehirn platziert werden. Damit dies möglichst exakt gelingt, hat Neuralink einen OP-Roboter dafür entwickelt. Über The Link sollen sich Signale übertragen und empfangen lassen, um beispielsweise bestimmte neuronale Regionen im Gehirn zu stimulieren. Das soll bei Krankheiten wie zum Beispiel Parkinson helfen, so die Hoffnung der beteiligten Wissenschaftler.

Auch Facebook arbeitete angeblich an BCIs. Auf der Entwicklerkonferenz F8 im Frühjahr 2017 hatte Regina Dugan, Leiterin der Forschungsabteilung Building 8, über ein Projekt berichtet, Gedanken direkt aus dem Gehirn in getippte Wörter auf einem Computer zu übertragen. Dugan hatte zuvor für das US-Verteidigungsministerium und Google gearbeitet. Ihr Engagement bei Facebook dauerte allerdings nur kurz. Im Oktober 2017 verließ Dugan Facebook mit unbekanntem Ziel. Das BCI-Vorhaben sollte eigentlich weiterverfolgt werden, hieß es damals. Doch seitdem gab es keine weiteren Informationen darüber. Facebooks BCI verschwand in der Versenkung.