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Sicherheitstechnik
Mikroskopische Drähte gegen Wirtschaftsspionage

Um sich vor Wirtschaftsspionage zu schützen, investieren viele Firmen in Cybersicherheit und prüfen, ob jemand USB-Sticks voller Informationen aus den Betrieben schmuggelt. Dabei übersehen sie aber oft einen Datenträger: gutes altes Papier. Eine Schweizer Firma will nun auch diese Sicherheitslücke schließen.

Von Piotr Heller | 24.10.2018
    Ein Bündel der Mikrodrähte, bevor sie ins Papier eingearbeitet werden
    Metallische Mikrodrähte sollen die Sicherheitslücke Papier schließen (Piotr Heller / Deutschlandradio)
    Ein Besprechungsraum im Industriegebiet im Norden Prags. Vladimir Manov steht vor einem dieser Tore zur elektronischen Warensicherung, die man etwa in Drogerien hinter der Kasse passieren muss. In seiner Hand hält ein Blatt Papier.
    "In diesem Blatt sind etwa 2000 Mikrodrähte drin. Wir können da auch mehr reinstecken. Manche Kunden wollen 4000, um eine 100% Erkennung zu haben."
    Die im Papier eingearbeiteten Drähte sehen aus wie abgeschnittene Haarspitzen. Tatsächlich sind sie aber gut zehn Mal dünner als ein menschliches Haar. Vladimir Manov wedelt mit dem Papier zwischen den Antennen umher. Das System schlägt Alarm. Diese Technologie soll Unternehmen vor Wirtschaftsspionage schützen.
    Sicherheitslücke Papier
    Aber der Reihe nach, zunächst erklärt der Ingenieur Pavlo Petrenko das Prinzip.
    "Die Drähte bestehen aus einem magnetisch sehr weichem Material. Es reicht also ein schwaches Magnetfeld, um ihre Magnetisierung zu ändern."
    Speziellen Antennen in dem elektrischen Tor erzeugen ein dreidimensionales magnetisches Feld.
    "Wenn wir das Papier da reinhalten, ändert das Feld die Magnetisierung der enthaltenen Drähte. Das passiert sehr schnell und sorgt für einen Sprung im magnetischen Fluss. Diesen Sprung können wir erkennen."
    In den Sicherheitspapier sind die metallischen Mikrodrähte deutlich zu sehen
    In den Sicherheitspapier sind die metallischen Mikrodrähte deutlich zu sehen (Piotr Heller / Deutschlandradio)
    Der Grundgedanke hinter dem System ist folgender: Konzerne tun viel, um sich vor Wirtschaftsspionage zu schützen. Sie verbieten Kameras und Internet in Entwicklungsabteilungen und prüfen, ob niemand USB-Sticks rausschmuggelt. Und dennoch gelangen Informationen nach außen. Etwa indem Mitarbeiter sie einfach ausdrucken und mitnehmen. Die Lösung: Man stattet alle Drucker in sensiblen Bereichen mit Sensoren aus, sodass sie nur auf dem Papier mit den kleinen Drähten drucken. Dann stellt man die Antennen an den Ausgängen auf und kann so feststellen, ob ein Mitarbeiter Ausdrucke auf Sicherheitspapier mitnimmt. Mit klassischen Warensicherungsetiketten könnte man so etwas nicht machen, denn die könnte man einfach von dem Papier abreißen.
    Die Drähte bestehen aus metallischem Glas
    "Die Mikrodrähte sind überall in dem Papier drin. Wenn jetzt jemand ein Stück abreißt, ist das egal, auch mit diesem kleinen Stück funktioniert es."
    Solche Sicherheitsvorkehrungen ergeben durchaus Sinn, der Branchenverband Bitkom taxiert den Schaden durch Wirtschaftsspionage alleine in Deutschland auf 55 Milliarden Euro. Die Mehrheit der betroffenen Unternehmen gibt an, dass es sich bei den Tätern um die eigenen Mitarbeiter handelt. Vladimir Manov hat das Material der Drähte – es handelt sich um metallisches Glas, also Metall ohne Kristallstruktur – in den Siebzigern als Wissenschaftler in Jekaterinburg erforscht, später mit seiner Firma "Tagit" Warensicherungen daraus produziert und nun das Papier entwickelt.
    "Wir betrieben viel Forschung und fanden eine Firma in Korea, die gleich interessiert war. Sie wollten das Papier an Samsung verkaufen. Das war im Jahr 2015. Wir bekamen eine große Bestellung, aber wir konnten nicht liefern. Denn durch die Drähte zerknitterte das Papier beim Drucken."
    Vladimir Manov, Erfinder eines Sicherheitspapiers, das metallische Fäden enthält
    Vladimir Manov, der Erfinder des Sicherheitspapiers (Piotr Heller / Deutschlandradio)
    Sicherheit hat ihren Preis
    Die Drähte werden dem Zellstoff-Brei zugegeben, aus dem Paper industriell hergestellt wird. Diesen Prozess mussten Vladimir Manov und sein Team optimieren und bekamen so das Knitter-Problem in den Griff. Das Papier fühlt sich wie ganz normales Druckerpapier an, kostet aber mindestens fünf Mal so viel. Der Koreanische Vertriebspartner von Manov sagt, dass er 2,5 Millionen Blatt Papier pro Monat an Samsung verkaufe. Samsung will sich auf Anfrage aber nicht zu Sicherheitsthemen äußern. Generell will keiner der Kunden reden. Sicherheit ist ein heikles Thema. Klar ist aber, dass das System funktioniert. Vladimir Manov geht jetzt eine Treppe hoch in die Halle, in der die Mikrodrähte verarbeitet werden.
    "Das bekommen wir von unserem Zulieferer, genau nach unseren Bedürfnissen."
    Er zeigt ein Bündel der schwarzen, etwa zehn Zentimeter langen Drähte. Ein Mitarbeiter legt sie in eine Maschine ein, die sie auf die nötige Länge zurechtschneidet. Die Maschine sieht nach einem simplen Eigenbau aus, das Sägeblatt, Ketten und Zahnräder sind offen zu erkennen.
    Auch Banken zählen zu den Kunden
    "Die haben vor drei Jahren gebaut, es ist unser erster Prototyp. Damit haben wir schon 1500 Tonnen Paper produziert, jetzt bereiten wir eine neue, schnellere Maschine vor."
    Denn inzwischen seien auch Banken an der Technologie interessiert. Eine Schweizer Privatbank nutze das diebstahlsichere Papier schon. Die Frage, welche Informationen Banken mit einer solchen Technologie schützen wollen, kann oder möchte Vladimir Manov aber nicht beantworten.
    "Das geht mich nichts an. Ich frage zwar manchmal nach, aber ich bekomme immer die gleiche Antwort: Sie sagen mir, dass sie das nicht verraten können."