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iPhone-Schlafphasenwecker Mangelhafter Muntermacher

"Beste App aller Zeiten", "endlich angenehm aufwachen": Das Programm Sleep Cycle begeistert viele iPhone-Nutzer. Es soll Schlummernde im Leichtschlaf wecken und so das Aufstehen erleichtern. SPIEGEL ONLINE hat die zehntausendfach verkaufte App im Schlaflabor getestet - mit überraschendem Ergebnis.

Hamburg - Ein iPhone hält seinen Besitzer den ganzen Tag auf Trab. Wetter abfragen, twittern, Mails checken, Route planen, spielen - mancher Nutzer kriegt die Finger kaum noch los von dem Touchscreen. Nur nachts, wenn der Besitzer schläft, liegt das iPhone unausgelastet und nutzlos auf dem Tisch herum.

Doch damit ist jetzt Schluss. Das Programm Sleep Cycle  macht das iPhone auch in der Nacht zum unersetzbaren Helfer - das behaupten zumindest Hunderte Nutzer in ihren euphorischen Kommentaren zu der App, die gerade mal 79 Cent kostet und exklusiv auf dem Apple-Handy läuft.

Wochenlang stand Sleep Cycle auf Platz eins in der Liste der meistverkauften Apps in Deutschland, gegenwärtig ist es auf Rang zwei. Das Programm verspricht, wovon eigentlich jeder träumt: am Morgen aufwachen, ohne müde zu sein. Das ist tatsächlich möglich, sofern der Wecker im Leichtschlaf klingelt und nicht im Tiefschlaf. Dieses oberflächliche Schlummern soll die Software an den verstärkten Bewegungen des Schlafenden erkennen, sagt Maciek Drejak, 31-jähriger Programmierer aus Schweden. Er hat das Programm erfunden und freut sich nun über sprudelnde Einnahmen aus dem App-Store.

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App Sleep Cycle: iPhone als Schlafwächter

"Ich habe vor einiger Zeit einen Schlafphasenwecker bei einem Freund gesehen und war begeistert", sagt Drejak im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Der Preis sei ihm jedoch zu hoch gewesen. 200 Euro kostet beispielsweise Axbo, der die Bewegungen im Schlaf über einen Sensor am Arm erfasst.

Die ausgesprochen sensiblen Beschleunigungssensoren am iPhone brachten Drejak auf eine Idee: Könnte man das Telefon nicht einfach auf die Matratze legen und die Erschütterungen messen, die durch Bewegungen im Schlaf entstehen? Ein halbes Jahr lang programmierte und probierte er herum - das Ergebnis ruft in den Foren Begeisterung hervor: "Die beste App aller Zeiten", "Endlich angenehm aufstehen", "Ich schaffe es nur, wenn meine Mutter mich mindestens fünfmal wieder weckt und mich anbrüllt. Ganz anders bei dieser App", lobt ein Nutzer.

"Im Tiefschlaf bewegt man sich weniger"

Sleep Cycle will seine Nutzer bis zu 30 Minuten vor der gewünschten Weckzeit mit sanfter Musik aus dem Schlaf holen. Der Wecker soll dann angehen, wenn man leicht schläft. Dass ein Sensor auf einer Matratze prinzipiell leichten Schlaf erkennen kann, wird von Wissenschaftlern nicht bestritten: "Im Traumschlaf und im Tiefschlaf bewegt man sich weniger als im Leichtschlaf", sagt Jürgen Hoppe von der Asklepios-Klinik Hamburg im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Im Traumschlaf seien die Muskeln sogar blockiert. "Im Prinzip kann das funktionieren", bestätigt sein Kollege Jürgen Zulley vom Schlafmedizinischen Zentrum Regensburg.

Aber geht das mit einem simplen Programm fürs iPhone? Kann man tatsächlich verschiedene Schlafphasen zuverlässig erkennen? Genau das suggerieren die Grafiken, die morgens von der App anzeigt werden. Programmierer Drejak hat sich nach eigener Aussage einige Schlafstudien angeschaut, er selbst war die Testperson. Ärzte hat er nicht konsultiert. "Immer wenn ich am Programm etwas geändert habe, musste ich eine Nacht schlafen, um zu sehen, ob sie den gewünschten Effekt hat", berichtet er. "Ich kann inzwischen am Graphen erkennen, wie gut ich geschlafen habe."

SPIEGEL ONLINE hat Sleep Cycle in einem modernen Schlaflabor getestet, wo Menschen mit Schlafproblemen zwei oder mehr Nächte verbringen. Eine Nacht lang lag das iPhone auf der Matratze eines Mannes, der von Kopf bis Fuß verkabelt war, um jede kleinste Veränderung im Gehirn, an den Augen und an der Muskulatur erfassen zu können. "Er hat, abgesehen von gelegentlichen Atemaussetzern, einen normalen Schlaf", sagt Andrea Iwansky vom Schlaflabor im Hamburger Jerusalem-Krankenhaus.

Statt Leichtschlaf Tiefschlaf diagnostiziert

Iwansky hat die Messungen ausgewertet und mit dem Diagramm verglichen, das Sleep Cycle gezeichnet hat. "Das Programm hat das Einschlafen richtig erkannt und reagiert, als der Patient sich umgedreht hat", sagt sie. Die Schlafphasen konnte Sleep Cycle jedoch nicht korrekt zuordnen. "Statt Leichtschlaf zeigt es Tiefschlaf an", moniert die Ärztin. Auch die Traumschlafphasen seien nicht erkannt worden.

Laut dem Diagramm der iPhone-App befand sich der Patient zwischen 23.00 und 5.00 Uhr im Tiefschlaf - unterbrochen von zwei kurzen Traumschlafphasen gegen 2.15 Uhr und gegen 4.00 Uhr. Die Messungen von Hirnströmen, Augenbewegungen und Muskelkontraktionen im Schlaflabor ergeben jedoch ein ganz anderes Bild. Der Mann befand sich demnach überwiegend im Leichtschlaf, kurze Tiefschlafphasen gab es zwischen 1.15 und 1.30 Uhr sowie zwischen 3.15 und 3.30 Uhr. Traumschlafphasen waren um 2.30 Uhr und gegen 5.00 Uhr.

Woher aber kommen die beiden Ausschläge in Sleep-Cycle-Diagramm? Ursache ist offenbar, dass sich der Patient genau zu diesen beiden Zeitpunkten gedreht hat, wie die per Infrarotkamera aufgenommenen Bilder belegen. Fazit der Ärztin Iwansky: "Schlafphasen kann das Programm nicht erkennen." Das versprochene sanfte Aufwecken sei damit kaum möglich.

Friedhard Raschke von der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin hält die Schlafkurven des Programms für "Quatsch". "Das kann auf keinen Fall funktionieren", sagt er.

Programmierer Drejak glaubt trotzdem an sein Programm: Der Mann habe sich im Schlaf kaum bewegt. "Vielleicht hat er sich kaum gerührt, weil er Angst hatte, ansonsten die Kabel abzureißen, an denen er hing", sagt der Schwede. Nach seiner Einschätzung ist sein bewegungsarmer Schlaf eher untypisch.

Bücherregal im Traumschlaf

Medizinerin Iwansky hält den Schlafstil ihres Patienten freilich für unauffällig. Dass viele Benutzer berichten, dass sie dank der App leichter aufstehen, könnte ihrer Meinung nach ein Placebo-Effekt sein - und glückliche Fügung. "Am Morgen häufen sich die Leichtschlafphasen", erklärt sie. Dies erhöhe die Chancen, dass der Wecker in einer solchen Phase bimmle, auch wenn er Schlafphasen nicht korrekt identifizieren könne.

Wie die Software die Schlafkurven erzeugt, zeigte ein Test, bei dem das iPhone die ganze Nacht im Bücherregal lag statt im Bett. Auch hier gab es einen auffälligen Peak mitten in der Nacht. Womöglich eine Erschütterung im Haus, ausgelöst von einem vorbeifahrenden Lkw. Offenbar analysiert das Programm einfach sämtliche Ausschläge und interpretiert die heftigsten davon, selbst wenn diese nur minimal sind, als Wechsel Richtung Traum- oder Leichtschlaf.

Fazit: Wer morgens ausgeschlafen sein möchte, sollte nicht ausschließlich auf sein iPhone vertrauen - sondern vor allem auf regelmäßigen, ausreichend langen Schlaf.

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