Aktuelles Urteil

EuGH kippt deutsche Vorratsdatenspeicherung

20.09.2022
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Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Der EuGH hat die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung für rechtswidrig erklärt. Justizminister Marco Buschmann kündigte bereits eine schnelle Streichung der entsprechenden Passagen an.
Der EuGH hat entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung geltendem EU-Recht widersprechen.
Der EuGH hat entschieden, dass die deutschen Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung geltendem EU-Recht widersprechen.
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Das Speichern von Telefon- und Internet-Verbindungsdaten ohne Anlass und Verdacht verstößt gegen EU-Recht, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) am 20. September 2022 entschieden. Die derzeit in Deutschland geltenden Regelungen seien daher rechtswidrig. Das seit Juli 2017 gültige Telekommunikationsgesetz (TKG) verpflichtet Anbieter von Telefon- und Internet-Zugangsdiensten hierzulande, Verkehrs- und Standortdaten ihrer Nutzerinnen und Nutzer auf Vorrat über vier (Standortdaten) beziehungsweise zehn Wochen (Verbindungsdaten) zu speichern.

Dagegen hatten SpaceNet und die Deutsche Telekom bereits 2016 vor deutschen Gerichten geklagt. Das Verwaltungsgericht Köln hatte zunächst entschieden, dass beide Provider nicht zur Vorratsdatenspeicherung verpflichtet seien. 2019 legte das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Revision die Frage nach der Vereinbarkeit mit EU-Recht dem EuGH vor. Zuvor hatte die Bundesnetzagentur die Speicherpflicht wegen der rechtlich unsicheren Situation ohnehin bereits ausgesetzt.

Mit dem Urteil bestätigten die Richter am EuGH nun ihre bisherige Rechtsprechung. "Nationale Rechtsvorschriften, die präventiv zur Bekämpfung schwerer Kriminalität und zur Verhütung schwerer Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit eine allgemeine und unterschiedslose Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten vorsehen", stehen demnach dem EU-Recht entgegen. Ausnahmen seien nur gestattet, wenn eine "real und aktuell oder vorhersehbar einzustufende ernste Bedrohung für die nationale Sicherheit" vorliege. Allerdings müsse eine solche Anordnung durch ein Gericht oder eine unabhängige Verwaltungsstelle kontrolliert werden und dürfe nur für einen "auf das absolut Notwendige begrenzten, aber im Fall des Fortbestands der Bedrohung verlängerbaren Zeitraum ergehen".

Das Thema Vorratsdatenspeicherung hatte im Vorfeld des EuGH-Urteils Gräben innerhalb der Bundesregierung aufgerissen. Während Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD die Speicherung von Telefon- und Internetzugangsdaten als wichtiges Instrument zur Verbrechensbekämpfung bezeichnete, drängten Vertreter der anderen Ampelparteien FDP und Grüne auf eine Aufhebung.

"Vorratsdatenspoeicherung gehört auf die Müllhalde der Geschichte"

Justizminister Marco Buschmann von der FDP sprach von einem guten Tag für die Bürgerrechte. "Wir werden die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nun zügig und endgültig aus dem Gesetz streichen", kündigte der Minister an. "Die Vorratsdatenspeicherung gehört auf die Müllhalde der Geschichte", sagte Konstantin von Notz, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen. Schließlich habe sich die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag nach intensiven Debatten gemeinsam glasklar darauf verständigt, die Bevölkerung zukünftig nicht mehr anlasslos zu überwachen, sondern stattdessen Gefahren zielgerichtet abzuwehren und eine insgesamt grundrechtsorientierte und rechtsstaatlich ausgestaltete Sicherheitspolitik zu verfolgen.

Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP sprach von einem guten Tag für die Bürgerrechte.
Bundesjustizminister Marco Buschmann von der FDP sprach von einem guten Tag für die Bürgerrechte.
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Vertreter der ITK-Industrie begrüßten das Urteil. Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder erklärte: "Mit seinem heutigen Urteil beerdigt der EuGH faktisch die Vorratsdatenspeicherung. Es macht keinen Sinn, sich weiterhin an diesem Instrument der anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten abzuarbeiten. Die Politik ist aufgefordert, andere und zwar gesetzeskonforme Möglichkeiten der digitalen Forensik zu nutzen."

Oliver Süme, Vorstandsvorsitzender des eco-Verbands, bezeichnete das EuGH-Urteil als wichtigen Etappensieg. "Damit die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland endgültig gekippt wird, muss jetzt die Bundesregierung ihre Hausaufgaben machen: Neben der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts brauchen wir dringend ein Gesetz zur Aufhebung der jetzigen Vorschriften." Süme hofft, dass die Ampel ihre koalitionsinternen Diskussionen beilegt und die Vorratsdatenspeicherung nun schnellstmöglich aus dem Gesetz streicht.

Oliver Süme vom eco-Verband fordert die schnelle Aufhebung der bestehenden Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung.
Oliver Süme vom eco-Verband fordert die schnelle Aufhebung der bestehenden Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung.
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Süme und andere Kritiker der Vorratsdatenspeicherung schlagen als Alternative das sogenannte "Quick-Freeze"-Verfahren vor. Dabei dürften nur bei konkretem Verdacht und auf richterliche Anordnung hin Nutzerdaten für Ermittlungszwecke gesammelt und gespeichert werden. "Die Vorratsdatenspeicherung greift massiv in unsere Privatsphäre ein, bringt aber keinen nachgewiesenen Mehrwert für die Strafverfolgung", hatte der eco-Vertreter im Vorfeld der Urteilsverkündung kund getan. "Anstatt ernsthaft nach Alternativen zu suchen, trägt Deutschland noch immer das Mantra vor sich her, schwere Kriminalität könne nur mit Vorratsdatenspeicherung bekämpft werden - doch das ist falsch."